Fremdes Licht
Geste.
»Delysier!« Er wandte sich mit einer raschen abwinkenden
Geste der linken Hand an einen Soldaten in der Nähe der
dickleibigen Frau; im nächsten Augenblick verstummte das
schrille Kreischen.
»Delysier!«
Allmählich legte sich der Tumult, die Anzahl derer, die
bereit waren, ihm zuzuhören, war jetzt groß genug.
»Da geht also die Sonne unter – haben wir noch nie die
Sonne untergehen sehen? Vielleicht ist das Spätlicht, vielleicht
auch nicht. Vielleicht wissen wir noch zu wenig über
R’Frow. Aber die Geds haben versprochen, sich morgen mit uns in
der Unterrichtshalle zu treffen, und solange können wir warten.
Die Nacht bricht herein – tut die Nacht weh? Leidet ihr
Schmerzen? Nein, nichts tut euch weh. Also geht nach drinnen, bevor
euch die Soldaten dazu zwingen müssen, und nehmt euch ein
Beispiel an ihrem Mut!«
Die Soldaten, die eben noch nicht besonders mutig ausgesehen
hatten, strafften sich. Die Leute, die immer noch vor Aufregung
zitterten und in den Himmel zeigten, wurden von anderen
beschwichtigt. Khalid sprach weiter, zuerst fordernd, dann gut
zuredend, und allmählich senkte er seine Stimme zu jenem
ruhigen, gleichmütigen Tonfall unerschütterlichen
Vertrauens, der allein schon überzeugend wirkt, ganz
unabhängig vom Wortlaut des Gesagten. Schließlich nickten
die Delysier, und dann löste sich die Menge nach und nach auf,
und man kehrte in die Halle zurück.
Khalid sprang leichtfüßig von seinem Felsen und redete
mit gesenkter Stimme auf einen Soldaten ein. Der setzte sich
daraufhin in Trab, und zwar zur nächsten delysischen Halle.
Ayrid sah sich nach Krijin um; in dem Gedränge hatte sie die
Frau aus den Augen verloren. Sie entdeckte sie in einer Ecke. Krijin
umklammerte mit beiden Händen die Hand eines kleinen delysischen
Mannes im Tebel eines Händlers. Bei Einbruch der Dunkelheit
ließ eine unsichtbare Lichtquelle den Saal warmgelb
erglühen. Doch so hell wie in den Quartieren wurde es hier unten
nicht.
Die Schüsseln mit dem Essen waren verschwunden.
Ayrid ließ sich mit dem Rücken an eine Wand fallen.
Zuviel Aufregung – zuviel Unvorhergesehenes, ein ständiges
Hin und Her zwischen Hunger, Gereiztheit und Angst. Sie dachte an
Glas, das zu rasch aus dem Ofen in den Glashof geholt wurde, wo die
Luft vergleichsweise kühl war – es bekam Sprünge im
Innern, und manchmal wußte nicht mal der beste Glasmacher von
diesen Sprüngen. Müde erklomm sie die Leiter und
schloß sich in ihr Zimmer ein.
Sie lag auf einem flachen, langen Kissen, zog ein anderes
über sich, dann schob sie es wieder fort; es war warm hier
drinnen. Ihr Magen kollerte vor Hunger. Dafür also hatte sie
sich durch die Savanne nach R’Frow gequält – um in
diesem trostlosen, fensterlosen Sarg zu liegen.
Embri…
Ayrid grub die Nägel der heilen Hand in den geschundenen
Daumen der anderen. Schmerz tobte durch den mißhandelten
Daumen, aber diesmal verfehlte der körperliche Schmerz seine
Wirkung. Der Seelenschmerz blieb. Sie setzte den Finger in den
orangefarbenen Kreis an der Wand und drückte zu; das Licht
erlosch, doch der Kreis glühte weiter.
Sie wußte nicht, wie lange sie so wach gelegen hatte im
Finstern. Als das Gericht die Verbannung ausgesprochen hatte, da war
ihr wenigstens die Wut geblieben; in der Savanne war es wenigstens
gefährlich gewesen. Hier gab es nichts, nur dieses trübe
orangefarbene Nichts, und sie lag allein mit diesem fremden Nichts,
bis jemand an die Tür pochte.
Als sie öffnete, schlug ihr der würzige Geruch von
Holzfeuer und gebratenem Fleisch entgegen. Kelovar brachte zwei
kleine Loris, fertig gesäubert und gegrillt; er sagte nichts,
hielt ihr bloß eine Schüssel der Geds mit den duftenden
Loris hin. Den anderen Arm ließ er baumeln, und seine Augen
machten keinen Hehl aus seinem Begehren. Die lockere Haltung des
langen Körpers, der trotz seiner überlegenen Kräfte
ergeben im Türrahmen stand, trug eine Wehrlosigkeit zur Schau,
die ohne Worte überreden wollte, und eine Unsicherheit, die um
Zuneigung bat. Das war nicht gerade die Art der Werbung, die sie
schätzte, nicht einmal bei einem Liebhaber für eine
Nacht.
Aber das war jetzt keine Stilfrage mehr. Bei dem Duft der Loris
lief ihr das Wasser im Mund zusammen, und gegen den hellen Korridor
nahm Kelovar sich wie ein Hüne aus. Auch er verströmte
einen Geruch, eine Mischung aus frischer Nachtluft und
männlichem Schweiß. Er war etwas Lebendiges in diesem
grauen Metallkasten. Er war ein Mensch, hatte nur
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