Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
Felsen werfen
können. Das durfte nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr
sein!
    Völlig gelassen sagte der Ged: »Du wirst in den Raum
gehen, der den roten Ring über dem Eingang hat.«
    Jehanna spürte ihre Knie zittern. Sie zückte das zweite
Messer, den grauen Dolch der Geds, und setzte zum zweiten Sprung
an.
    »Jehanna!«
    Die Oberbefehlshaberin, Belasir persönlich, Jehanna straffte
sich und salutierte mit beiden Handgelenken. Ihre Muskeln zitterten
noch von dem Schock.
    »General, er hat Jelas Ehre mit Füßen getreten. Er
hat gesagt, Krieger und – und Delysier wären gleich, und
daß wir mit ihnen im selben Kader trainieren
müßten!«
    »Wir werden trainieren, wie die Geds es
wünschen.«
    Jehanna erstarrte innerlich. Die betagte Kriegerin fuhr im selben
schroffen Tonfall fort: »Wir haben uns freiwillig dem Kommando
der Geds unterworfen. Solange wir in ihrer Stadt sind, führen
wir dasselbe Schwert der Ehre. Das zu mißachten, wäre die
schlimmere Ehrverletzung.«
    Jehannas Augen begegneten Belasirs Blick. Darin lag die
unversöhnliche Strenge eines Kriegers, der sich einem
verhaßten Eid verpflichtet wußte. Der Blick war auf eine
freudlose Weise beschwichtigend. Molag gefiel das auch nicht, was die
Geds da verlangten, aber sie hielt es nicht für
ehrenrührig. Und wenn das so war, dann…
    »Dann habe ich jemanden angegriffen, mit dem mich die Ehre
des Lebens verbindet. Mein Kriegerleben gehört dir.« Die
innere Kälte sickerte aus dem Bauch in die Beine; die letzten
Worte waren eine rituelle Formel und zogen nicht unbedingt die Strafe
nach sich.
    Doch Belasir bekam Lippen so schmal wie Striche, sie schob die
Kinnlade vor – und dann zauderte sie. Jehanna sah in dem Zaudern
Unsicherheit, ja Verletzlichkeit, und es durchfuhr sie wie ein Blitz. Ein Oberbefehlshaber – und unsicher?
    »Ich gebe dir dein Kriegerleben zurück«, sagte
Belasir. »In der Trainingshalle hast du den Geds aufs Wort zu
gehorchen, verstanden?«
    »Jawohl, General.« Unsicher…
    Belasir entließ sie mit einem barschen Handwedeln, und
Jehanna ging in die Unterrichtshalle. Den roten Ring hatte sie noch
vor ihrer Attacke fallen lassen, doch jetzt sah sie, daß er
abgefärbt hatte. Der rote Kreis auf ihrer Handfläche
ließ sich weder abwischen noch abkratzen.
    Sie war tätowiert. Wie Kinder das manchmal machten, wie bei
einem Taschenspielertrick auf einem fremden Jahrmarkt. Tricks und
Illusionen, ohne jeden Sinn, dumm wie ein Eimer voll Haare…
    Woran war die Klinge zerbrochen?
    Die Unterrichtshalle war im kleinen, was R’Frow im
großen war – ein Geviert aus fensterlosen, hohlen
Wänden; mit einem Unterschied: es war leer. Vermutlich der
Schulungshof, dachte Jehanna. Auf jeder Seite führte ein
Torbogen direkt auf diesen Innenhof, und ringsum durch die
Hohlwände lief ein Korridor; auf der äußeren Seite
des Korridors führten lauter offene Torbögen in kleinere
Räume. Über jedem Eingang stand unübersehbar ein
andersfarbiger Kreis. Unter dem roten Kreis hielt Jehanna inne.
    Bodentischchen. Bunte Sitzkissen. Der warmgelbe glühende
Kreis an der Wand. Und mitten im Raum ein Ged, der still dasaß
und keine Miene verzog. Ringsum achtzehn Menschen: neun Delysier,
acht Jeliten und eine unglaubliche Kreatur, ein Koloß von einem
Mann; sein Gesicht sah jung aus, aber seine Mähne war so
weiß wie Frost; Kaskaden von Haar fielen ihm von Kopf, Nacken
und Unterarmen, gewaltigen Unterarmen, und das gesamte Haar, selbst
das auf den Armen, war kunstvoll zu feinen, dünnen Zöpfen
geflochten, die mit weißem Garn zu langen Quasten gerafft
waren. Selbst sein Tebel, so groß, daß man ein Zelt
daraus machen konnte, war weiß. Der bleiche Riese saß
allein zwischen dem Ged und den anderen und stierte vor sich hin, aus
Augen, die die Farbe eines gehäuteten Tieres hatten.
    An der hinteren Wand die Jeliten – grimmig dreinblickende
Krieger, die mit dem Rücken zur Wand standen, und Bürger,
die etwas weiter weg von dem Ged saßen. Zwei Kriegerinnen, zwei
Krieger und Dahar, Belasirs erster Stellvertreter, von dem Jehanna
schon gehört hatte. Ein männlicher Bürger in der
Tracht eines Steinmetzes und eine gewöhnliche Arbeiterin –
und die kleine Hure.
    Neben dem Eingang standen mit dem Rücken zur Wand vier
delysische Soldaten. Sie ließen den Blick nicht von Jehanna.
Ein Stück weiter weg saßen fünf delysische
Bürger, darunter diese Schleimschnecke von einem
Glasbläser, die sich von Jehanna durch die Savanne hatte lotsen
lassen. Diese

Weitere Kostenlose Bücher