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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Luft. »Du bist ja verrückt,
SaSa!«
    Jamila mußte nicht weit hinter ihnen gewesen sein; Falonals
laute Stimme hatte sie bewogen, rasch aufzuholen. »Was schreit
ihr so?«
    »SaSa meint, sie wäre jetzt keine Hure mehr«, rief
Falonal. »Sie sagt, sie hätte damit
aufgehört.«
    Jamila, rund und hübsch, mit blauen Edelsteinen an den
zierlichen Ohren, starrte SaSa entgeistert an: »Warum das
denn?«
    SaSa zuckte die Achseln, ein kaum merkliches Heben und
Fallenlassen der schmächtigen Schultern.
    »Warum willst du denn aufhören?« sagte Jamila
entrüstet. »Hier zahlen die Krieger besser als in Jela. Und
hier gibt es weniger von uns – ich kann soviel haben, wie ich
will. Zwölf letzte Nacht.«
    Falonal sagte: »Sie lassen dich nicht
aufhören.«
    Jamila sagte: »Ich begreif das nicht!«
    SaSa gab keine Antwort. Sie ging einfach weiter. Sie fuhr
zusammen, als Falonal plötzlich hinter ihr herfauchte: »Du
bist und bleibst eine Hure, SaSa – hörst du, eine Hure! Du bist eine von uns. Stolzier nicht herum wie eine unbefleckte
Kriegerin – wir wissen, was du bist!«
    SaSa gab keine Antwort. Sie ging in die Unterrichtshalle, betrat
den Raum mit dem roten Kreis über dem Türbogen und setzte
sich wie immer in die hinterste Ecke, machte sich so klein, wie sie
konnte, den Kopf ein wenig gesenkt. Wenn sie jemand ansah, sie
würde es nicht bemerken. Sie lauschte und hörte nichts von
dem, was geredet wurde. Sie hockte einsam auf einem sicheren Eiland,
und die Stille leckte mit hundert dunklen und pelzigen Zungen ans
Ufer.
    Heute wurde nicht mit Jonkilknochen gespielt. Kein Feilschen, kein
Tuscheln, niemand lehnte lässig an der Wand. Krieger und
Soldaten standen sich breitbeinig gegenüber, hatten grimmige
Gesichter, und in ihren Gürteln steckten jelitische Messer,
zweizinkige delysische Augenstecher und die matt schimmernden
Wroffmesser der Geds. Die Bürger verteilten sich stumm im
Hintergrund. Nur der riesige weiße Barbar saß wie immer
apathisch am mittleren Bodentischchen und blickte aus rosaroten Augen
an Grax vorbei. Ayrid fragte sich, ob er vom Tod des Schusters
wußte – ob er überhaupt etwas mitbekam. Sie
schlüpfte an ihren Platz auf der delysischen Seite des Raums,
aber ganz in der Nähe des Ged, direkt an dem Bodentischchen, von
dem Grax jedesmal die fremden Sachen nahm, über die er redete.
Das war der beste Platz – zum Sehen, zum Fragen und um nichts zu
verpassen. Da saß sie auch näher bei den Jeliten als…
Sie schob den Gedanken beiseite.
    Das Bodentischchen, an dem sonst der Schuster gesessen hatte, war
verräterisch leer.
    Ayrid heftete den Blick auf Grax. Es schnürte ihr die Kehle
zu. Wenn alle Menschen aus R’Frow verbannt
wurden…
    Grax bewegte die Hand, und die Plattform des Bodentischchens
löste sich auf und wurde durch eine andere ersetzt, auf der wie
üblich die Dinge des Wissens lagen. Der Blick des Ged galt aber
nicht den Gegenständen, sondern den Menschen; er musterte ihre
Gesichter, und als er den Mund aufmachte, um zu reden, wurde die Luft
plötzlich stickig, und Ayrid hörte irgendwo in ihrem
Rücken, wie jemand zwischen zusammengebissenen Zähnen die
Luft einsog. Würde der Ged auf den Mord zu sprechen kommen? Was
würde er sagen?
    »Dieser Draht ist nicht aus Kupfer«, sagte Grax.
»Die Elektronen werden darin kräftiger und schneller
abfließen als in Kupfer.«
    Er brachte den Mord nicht zur Sprache! Ayrid bekam weiche Knie.
Sie warf einen Blick nach links; das Gesicht des delysischen
Kommandanten verfinsterte sich vor Wut.
    »Der Draht besteht nicht nur aus einem einzigen Erz«,
sagte der Ged. »Er besteht aus verschiedenen Stoffen, die bei
großer Hitze miteinander verschmolzen wurden.« Mehr sagte
er nicht; die Geds verrieten nie sofort, was man mit den Sachen
machen konnte, die sie zur Verfügung stellten. Ihre Methode war
es, Sachen zu beschreiben und Fragen zu beantworten.
    Niemand rührte sich. Das Schweigen zog sich in die
Länge. Kein Stück von dem neuen Draht verschwand unter
einem jelitischen oder delysischen Tebel, auch sonst kein
Gegenstand.
    Grax wartete. Die drei Augen, fand Ayrid, waren längst nicht
so merkwürdig wie dieses Warten; im Unterricht konnten die Geds
stundenlang dasitzen und warten, einen ganzen Tag lang; sagten
nichts, rührten sich nicht, solange nicht, bis irgendein Mensch
irgend etwas tat. Grax hatte das auch schon fertiggebracht, anfangs.
Er mußte doch spüren, daß das heute eine ganz andere
Situation war – daß heute die Menschen

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