Fremdes Licht
meisten Krieger ins
Feld führten, jenen Spott, den er seit seinem zehnten Lebensjahr
zu hören bekam: Natürlich haben nur solche, die auch
selbst kämpfen, das Recht, Hand an verwundete Krieger zu legen.
Das darf kein Bürger. Aber ein Krieger, der sich um Schmerz und
Krankheit kümmert, ein Krieger, der sich der Aufgabe
verschrieben hat, Schmerzen zu lindern und Verletzungen zu heilen,
ein solcher Krieger kann unmöglich den gleichen Schneid haben
wie ein Krieger, der nur Verletzungen beibringt und Schmerzen
zufügt. Bei einem solchen Krieger gibt es irgendwo eine
schwache, eine faule Stelle – und die könnte in der
Schlacht mein Tod sein. Ich möchte lieber nicht unter einem
Krieger-Priester kämpfen. Ich gehe ihnen lieber aus dem
Weg.
Vom Mißtrauen brauchte es nicht weit bis zur Verachtung,
nicht weiter als vom Messer des Krieger-Priesters bis zur Haut des
ersten verwundeten Bruders, den er operieren mußte – und
der ihm unter den Händen wegstarb.
Kindisch. Schmerzhaft. Blind – blind wie ein Jäger, der
den vom Rudel verstoßenen Krihund unterschätzt. Doch das
war nur die Oberfläche, darunter schwelte der tiefe,
unausgesprochene Abscheu vor dem Krieger, der sich mit geschickten
Fingern durch die kaputten und hilflosen Leiber seiner Artgenossen
tastete…
Belasir rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Die
Haut unter den Augen spannte sich, hatte die Farbe von altem
Jonkilleder. »Es wäre ein Fehler, die Delysier zu
unterschätzen. Ihre Soldaten sind ehrlos und hinterhältig
und würden ihren Liebhaber verkaufen, aber sie werden zu
bestialischen Kämpfern, wenn man ihnen verspricht, daß sie
hinterher plündern und vergewaltigen können. Und in ihren
Reihen sind zu viele unberechenbare Außenseiter.«
Wie bei uns, dachte Dahar, sagte es aber nicht. »Ihr
rechnet trotzdem nicht mit einem richtigen Angriff?«
»Nein. Wenn sie bis jetzt nicht angegriffen haben, dann
greifen sie nicht mehr an. Delysier greifen sofort an oder es
gärt bei ihnen, es rumort, bis sie vor Wut kochen. Keine
Disziplin. Das ist ihre Schwäche, aber sie kann auch zur Kraft
werden, wenn ein Kommandant es versteht, die Wut zu steuern. Khalid
hat das Zeug dazu. Ich weiß von Kriegerinnen, die mit Khalid
zusammen Unterricht haben, daß er nicht auf den Mund gefallen
ist. Worte können Wut steuern. Nein, ich glaube nicht, daß
sie direkt angreifen.«
»Also Rache an einem jelitischen Krieger.«
»Ja. Wahrscheinlich. Wenn sie an einen herankommen. Wir
machen es ihnen jedenfalls nicht leicht.«
Dahar sagte: »Ich habe heute einen Ged gefragt, wie
Töten bestraft wird.«
Belasir nahm die Hände vom Gesicht. Ihre Augen verengten
sich. »Das ist eine Angelegenheit der Verteidigung. Du
hättest um Erlaubnis bitten sollen.«
»Tut mir leid, Kommandantin. Ich sah darin keine
Angelegenheit der Verteidigung. Ich habe ihm die Frage im Unterricht
über die Dinge des Wissens gestellt. Seine Antwort war:
›Alle mathematischen Prinzipien sind zeitlos.‹«
Belasir überlegte, rollte nachdenklich die Augen:
»Ziemlich unklar, findest du nicht?«
»Doch. Aber er war dabei, über Magnetismus zu reden;
schwer zu sagen, ob er damit irgend etwas Spitzfindiges über die
Gesetze des ›Zwangs‹ und die der Geds sagen wollte.«
Dahar beobachtete Belasir; sie hatte offenbar nicht verstanden, was
er gesagt hatte. Das Wort Magnetismus hatte einen komischen
Nachgeschmack, hier in diesem Raum, vor dieser Frau.
»Was hältst du davon, daß die Geds das Töten
nicht sofort bestraft haben? Dadurch könnten sie an
Autorität verlieren.«
»Ich glaube, sie warten.«
»Worauf?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht sind sie neugierig, was als
nächstes passiert. Sie haben gesagt, sie studieren
uns.«
»Was glaubst du, wie die Strafe aussehen wird?«
Er schwieg. Dann sagte er zögernd und ohne eine Miene zu
verziehen: »Sie könnten auf die Idee kommen, alle Menschen
aus R’Frow zu verbannen.«
»Du glaubst, daß sie das tun?« sagte sie
spröde.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Nur so. Ein Gefühl.«
»Findest du nicht, daß das Wort verbannen in diesem
Zusammenhang schon sehr merkwürdig klingt, Kommandant? Wir sind
hier nicht in Jela.«
»Die Kommandantin vergißt, daß ich nicht aus Jela
bin.«
»Ich vergesse gar nichts«, sagte Belasir und maß
ihn mit ihren schwarzen Augen. »Wie ich höre, zeigst du im
Unterricht großes Interesse an den Spielzeugen der
Geds.«
So kam es am Ende doch ans Ziel, dieses eingefleischte
Mißtrauen; auf einem
Weitere Kostenlose Bücher