Fremdes Licht
warteten –
daß sie wissen wollten, wie die Geds das Unrecht sühnen
würden. Die Geds hatten ihnen Gesetze auferlegt, und wo Gesetze
galten, mußte es auch Strafen geben. Während Strafe,
dachte Ayrid mit Verbitterung, nicht immer bedeutete, daß man
auch ein Gesetz übertreten hatte.
Als das Schweigen unerträglich wurde, brauste der delysische
Kommandant plötzlich auf: »Die jelitische Brut hat einen
Delysier getötet.«
Messer wurden gezückt.
Grax drehte den Kopf, um den Sprecher in Augenschein zu nehmen
– was selten vorkam. Normalerweise galt seine direkte Zuwendung
nur denen, die sich aktiv am Unterricht beteiligten. Genau wie am
ersten Tag sagte er in ruhigem Tonfall: »Jetzt haben wir
Unterricht über die Dinge des Wissens.«
Der Delysier trat wutentbrannt vor. In seiner Hand blitzte ein
Messer. Ayrid spürte, ohne hinzusehen, wie rechts von ihr ein
Ruck durch die jelitischen Krieger ging. Doch der Blick des Soldaten
war auf den Ged und nicht auf die Jeliten gerichtet, und mit einemmal
fiel Ayrid wieder der unsichtbare Schutzschild ein, der den Ged
umgab. Grax rührte sich nicht. Der Kommandant zögerte.
»Jetzt haben wir Unterricht über die Dinge des
Wissens«, wiederholte Grax und wandte seine Aufmerksamkeit
wieder dem Tischchen zu, das vor ihm stand.
Der Kommandant zauderte noch. Ayrid sah es seinem Gesicht an, als
die Vernunft siegte. Es war so zwecklos, Grax anzugreifen, wie es
dumm war, in einem geschlossenen Raum die zahlenmäßig
überlegenen Jeliten herauszufordern. Er trat an die Wand
zurück, und Ayrid öffnete die Fäuste in ihrem
Schoß und legte die Hände auf das Tischchen. Unter ihren
Fingernägeln waren Blutspuren.
Der Draht auf dem Tischchen war silbergrau. Sie starrte unverwandt
auf den Draht. Die Zeit tropfte dahin, und weder rechts noch links
von ihr stürzte sich jemand mit gezückter Waffe auf den
Gegner. Schließlich vernahm sie von links hinten ein leises
Geräusch und sah sich um.
Ein delysischer Bürger wischte den neuartigen Draht von einem
Tischchen in seinen Schoß.
Im ganzen Raum verschwanden jetzt die Gegenstände von den
Tischchen, als sei das heute ein Morgen wie jeder andere. Ayrid legte
die Hand auf das Drahtbündel, um ihren Besitz zu sichern. Einen
Augenblick später nahm sie es in die Hand.
›Unterricht über die Dinge des Wissens‹, nannte der
Ged das; ihnen war wohl egal, was die Menschen taten. Hauptsache, die
Menschen kamen zum Unterricht und lernten. Aber warum legten sie dann
solchen Wert auf Gehorsam?
Ein Delysier, durch Ayrids Passivität verleitet, langte nach
einem Wroffgefäß auf ihrem Tischchen. Ayrid kam ihm zuvor
und deckte rasch die Hand über die Sachen; das Schlitzohr zog
sich an seinen Platz irgendwo hinter Ayrid zurück.
Da standen zwei Gefäße, die mit einer Säure
gefüllt waren, die auch beim Glasmachen benutzt wurde. Sie
steckte die vier Metallplättchen in die Gefäße; jetzt
hatte sie zwei Zellen. Konnte sie noch eine dritte machen? Nein, sie
war nicht fix genug gewesen; alle delysischen Tischchen waren
abgeräumt. Platten und Gefäße gab es nur noch bei dem
farblosen Riesen, der nie etwas anrührte. Und niemand traute
sich in seine Nähe, um sich zu bedienen.
Sie verband den neuen Draht mit beiden Zellen und hätte fast
vor Schmerz aufgeschrien.
Den Finger im Mund, bestaunte sie den Draht. Wieso war der Schmerz
soviel heftiger gewesen als bei Kupfer? Wie ging man denn mit so
einem Draht um?
Na klar – wie mit der Säure beim Glasmachen. Mit spitzen
Fingern zog sie einen Holzspan aus ihrem Tebel und benutzte ihn, um
den Draht an die zweite Zelle zu bringen. Als der Draht Kontakt
hatte, glühte er nicht; doch als sie mit dem Finger langsam
näher heranging, fühlte sie die Hitze, die von ihm ausging. Eine solche Hitze! Wie Feuer – so heiß wie ein
Feuer, wie es niemand mehr entzündet hatte, seit man in
R’Frow war.
Die verschiedenen Möglichkeiten begannen sie zu fesseln. Sie
versuchte dies und das, gerade wie es ihr in den Sinn kam. Sie
vergaß darüber ihre Umgebung. Sie hantierte mit den
geschickten und sicheren Fingern eines Glasmachers, und ihr Atem ging
ein wenig schneller, als ihr eine Idee nach der anderen kam.
Was, wenn der Draht heiß genug wurde, daß sich
draußen in der Savanne ein Jäger daran wärmen konnte,
besonders bei Drittnacht? Wenn er heiß genug wurde, um bei
Drittnacht ein krankes Kind warmzuhalten? Die Wärme mußte
man noch irgendwie steigern können; der heiße Draht durfte
auf keinen
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