Fremdes Licht
Mindestens zwei
Bruderkrieger hämmerten und traten gegen die Tür. Bei jedem
Tritt war sie zusammengefahren, wie sonst unter den harten
Stößen in ihrem Schoß. Sie war nicht zur Tür
gegangen.
Und dann diese Stille.
Sie wartete, daß die dunkle, pelzige Stimme wieder zu
sticheln und zu tadeln begann – du brauchst nicht in
R’Frow, du mußt nicht hier in R’Frow –, aber
jetzt, da SaSa die Tür nicht aufmachte, blieb die Stimme
fort.
Statt dessen herrschte nur dunkle, pelzige Stille.
Wann hatte sie jemals solche Stille vernommen? Noch nie hatte sie
solche Stille vernommen. Wenn sie in der Hurengasse von Jela zu
später Drittnacht frierend aufgewacht war, alt genug, um zu
wissen, warum sie nicht zu ihrer Mutter ins Bett kriechen durfte, um
sich zu wärmen, da hatte die kleine SaSa ängstlich einer
Stille gelauscht, die von Geräuschen durchsetzt war: das
Stöhnen eines anderen Kindes, das von einem Traum geplagt wurde;
Schritte in der Gasse; das erstickte Lachen ihrer Mutter, das
schlimmer klang als jeder Schrei. Sie hatte sich vorgestellt,
daß diese Stille genauso Angst hatte wie sie selbst, und sich
stillhielt, um nicht entdeckt zu werden. Doch die Geräusche
stöberten die Stille auf, wie Jäger, unweigerlich. Und die
Stille war scheußlicher und verzweifelter als die Jäger
gewesen.
Aber diese Stille hier war sanft, dunkel und pelzig. Aus der
pelzigen Stimme war irgendwie die pelzige Stille geworden, und vor
ihr hatte SaSa keine Angst.
Sie lag lange so da und grübelte. R’Frow hatte sie von
der Hurenfäule befreit, und R’Frow hatte sie auch von
dieser quälenden Stimme befreit; R’Frow hatte ihr diese
sanfte Stille beschert. Vielleicht war es die heilsame Stille, die
beides besiegt hatte: die Krankheit und die Stimme in ihrem Kopf.
Niemand schlug mehr an die Tür. Niemand trat mehr dagegen.
Die Krieger waren gegangen. Nur Falonal teilte das Daumenschloß
mit ihr, Falonal war eine andere Hure. Außer Falonal konnte
niemand herein.
Niemand.
Sie drehte sich auf die Seite und starrte die verschlossene
Tür an. Sie hätte nackt da liegen können, so warm war
es, aber sie hatte den Tebel anbehalten und sich sogar noch
zugedeckt, mit einer Decke, die sie aus einem Kissenbezug genäht
hatte. Sie langte mit einem Arm aus, und der ganze leere Platz auf
den Kissen gehörte ihr allein. Und die warme, pelzige, dunkle,
süße Stille ringsum wiegte sie in Schlaf.
»Du hast letzte Nacht nicht aufgemacht«, sagte Falonal
anklagend, als sie SaSa auf dem Wroffpfad zur Unterrichtshalle
eingeholt hatte. Der Tag war warm und bedeckt, wie jeder Tag in
R’Frow.
»Nein.«
»Hattest du Blutfluß?«
»Nein«, sagte SaSa leise. Sie hielt den Kopf ein wenig
gesenkt beim Gehen. Der Pfad unter ihren bloßen
Füßen war sauber und grau.
»Dann mach nicht so was. Jamila und ich haben auch nur vier
Beine; wie sollen wir mit den ganzen Kriegern fertig
werden?«
»Ihr müßt schon sehen, wie ihr damit
zurechtkommt«, sagte SaSa mitfühlend. »Ich bin keine
Hure mehr.«
Falonal ließ den Mund offenstehen. »Wie meinst du das,
du bist keine Hure mehr?«
»Ich habe damit aufgehört.«
»Aufgehört?«
»Jemand wollte, daß ich aufhöre«, sagte SaSa
und wartete auf die dunkle, pelzige Stimme. Sie blieb aus.
»Wer wollte das?«
»Jemand wollte es«, wiederholte SaSa; sie hielt den Kopf
gesenkt, drehte ihn nur ein bißchen und schielte mit einem
scheuen Lächeln zu Falonal hinauf. Falonal kniff die dunklen und
ein wenig eingesunkenen Augen zu Schlitzen zusammen. Sie hatte eine
ledrige Haut, obwohl sie fast nie an der Sonne gewesen war, und ein
rundes, knochiges Kinn, das an einen großen, flachen Kiesel
erinnerte.
»Du kannst nicht aufhören.«
SaSa schwieg.
»Das geht nicht, du bist und bleibst eine Hure«, sagte
Falonal. Sie runzelte die Stirn, lachte spröde, dann runzelte
sie wieder die Stirn. »Ich glaube, du machst es dir zu
einfach.«
Fast unhörbar sagte SaSa: »Wir bekommen zu essen hier,
Falonal. Wir haben es warm hier. Ich… habe
aufgehört.«
»Das werden sie nicht zulassen«, sagte Falonal
verärgert. »Was wird aus den Kriegern, wenn die Huren keine
Huren mehr sein wollen? Sie werden keine Ruhe geben.«
»Die Stille gibt mir Ruhe.«
Falonal stemmte die Hände in die Hüften und sah SaSa von
oben bis unten an. Ihr Mund sackte nach unten und ließ das Kinn
noch härter aussehen. »Du glaubst wohl, du bist was
Besseres als wir?«
»Nein. Ihr könnt ja auch aufhören.«
Falonal schnappte nach
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