Fremdes Licht
Wichtiger als alle Ehre…
Doch er hätte nicht gedacht, daß es so weh tat.
Dahar riß die Schultern zurück. Vor ihm, in
R’Frow, lag die Doppelhelix. Sie war es wert.
Er folgte Belasir durch den Torbogen hinaus in den grauen
Morgen.
26
Jehanna träumte gerade, als ihr jemand die Hand auf die
Schulter legte. Sogar im Schlaf wußte sie sofort, daß es
Talots Hand war. Die Finger waren lang und dünn und
drängend. Schlaftrunken streifte sie die Hand auf ihre Brust
hinunter und drehte sich auf die andere Seite. Doch die Hand kehrte
auf die Schulter zurück und rüttelte.
»Jehanna – wach auf.«
»Hab noch… keine Wache.«
»Aufwachen, Jehanna!«
Talots Tonfall verscheuchte den Schlaf. Jehanna setzte sich auf.
»Was ist denn, Talot? Du siehst aus – was ist
los?«
Rote Strähnen hatten sich aus den hochgesteckten Zöpfen
gelöst. Talots Gesicht war aschgrau, und die beiden Linien
zwischen Nase und Mund waren dunkler als sonst.
»Ein Krieger hat einen delysischen Soldaten
getötet.«
»Trotz des Befehls? Welche Wache ist jetzt?«
»Dritte. Dahar ist sich noch nicht sicher, wer es war. Er
stellt Fragen.«
»Belasir hat jedes Töten strikt untersagt. Den Krieger
muß Dahar natürlich töten, aber was regst du
dich…?« Ein schrecklicher Verdacht durchbohrte Jehanna.
»Talot – du hast ihn doch nicht etwa…?«
»Nein. Es war ein Bruder. Aber ich kenne ihn.«
»Dann geh zu Dahar und sag ihm, wer es ist. Der Idiot hat
gegen den Befehl gehandelt.«
Talot begrub das Gesicht in den Händen. Jehanna, die nackt
auf den prächtigen Kissen saß, fror plötzlich, obwohl
es dazu viel zu warm war. Sie kreuzte die Arme unter der Brust und
faßte sich um die Taille. Ihr Magen krampfte sich zusammen.
»Wer ist es?«
Talot saß da, nahm die Hände nicht vom Gesicht und gab
keine Antwort.
Die Worte kamen Jehanna nur langsam über die Lippen: »Es
ist der Bruder, mit dem du geschlafen hast, hab ich recht?«
Talots knöcherne Schultern bebten. Eifersucht geißelte
Jehanna, wie mit Peitschenhieben von innen gegen die Haut. Talot
hatte mit keinem Wort durchblicken lassen, daß sich der Bruder
in R’Frow befand. Talot hatte mit keinem Wort durchblicken
lassen, daß ihn dasselbe Schicksal getroffen hatte. Wie konnte
sie nur derart erschüttert sein über etwas, das ihn betraf?
Jehanna fühlte sich hintergangen.
»Geh zu Dahar und tu deine Pflicht«, sagte sie
schroff.
Talot schüttelte hinter ihren Händen den Kopf.
»Es ist deine Pflicht, Talot, deine Pflicht gegenüber
der Oberkommandierenden. Er hat gegen ihren Befehl
getötet – gegen ihren strikten Befehl!«
Talot gab keine Antwort. Jehanna sah nur den weißen
Scheitel, die roten Strähnen, die über die Schläfen
fielen. Gestern abend noch hatte sie ihr das rote Haar
geöffnet…
»Dann geh ich eben zu Dahar und sag ihm, was ich
weiß!« fauchte sie.
Talot zog die Hände ein Stück weit vom Gesicht. Ihr
Schluchzen war wie weggeblasen. Sie sah Jehanna direkt in die Augen.
»Das brächtest du fertig?«
»Er hat einen Befehl mißachtet!« schrie Jehanna
– aber das Schreien brachte ihr keine Erleichterung.
Talot starrte sie unverwandt an. Jehanna konnte nicht länger
tatenlos dasitzen, sprang auf und riß Tebel und Beinkleider an
sich – sie mußte etwas tun – es war unmöglich,
nichts zu tun. Versager taten nichts, der quälende Brand in
Brust und Bauch ließ ihr gar keine Wahl. Daß Talot
überhaupt noch zögerte, daß Talot einen Krieger
deckte, der gegen einen ausdrücklichen Befehl verstoßen
hatte, daß Talot…
Halb angezogen und barfuß blieb Jehanna auf dem kalten Boden
stehen und schloß ganz fest die Augen. »Warst du…
dabei?«
»Nein! Es war nicht so, wie du denkst. Wir waren auf Wache.
Er war der nächste Posten, und ich habe gehört, wie er
fortging. Dann hab ich gesehen, wie er zurückkam,
und…«
»Du hast nicht versucht, ihn aufzuhalten?«
»Wir… wir reden nicht miteinander. Aber als er
zurückkam, war ich gerade abgelöst worden, und da hab ich
gesehen, daß er blutete. Das Messer des Delysiers muß ihn
gestreift haben. Ich hab ihm gesagt, ich müßte Dahar
melden, daß er seinen Posten verlassen hat, und er hat gesagt,
daß man ihn dafür hinrichten würde, und da… da
bin ich hergekommen, zu dir.«
Die Frage kam wie ein Pfeil: »Willst du ihn immer
noch?«
»Nein! Nein, Jehanna, glaub mir, ich… nein. Aber wir
haben miteinander geschlafen, wir haben zusammen dagelegen im Dunkeln
und uns unterhalten, so wie
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