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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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wir beide, und ich… ich will nicht
schuld sein an seinem Tod.«
    »Die Schuld liegt bei ihm. Er verdient nichts
anderes!«
    »Dafür, daß er einen Delysier getötet hat?
Wir trainieren ein Leben lang, um genau das zu tun, wie
oft…«
    »Hat man uns auch beigebracht, Befehle zu
mißachten?«
    Darauf blieb Talot die Antwort schuldig. Sie saß ganz still
da. Jehanna stand vor ihr, den Tebel in der Hand, und sah auf Talots
Nacken hinunter; alle Bräune war in R’Frow verflogen, die
Haut sah weiß und verletzlich aus unter dem roten Haarknoten.
Wütend streifte sich Jehanna den Tebel über den Kopf. Doch
die Wut half ihr nicht, und Jehanna zwang sich zur Ruhe.
    Die Worte schmeckten wie Erbrochenes: »Vielleicht schont
Belasir sein Leben. Er verdient zwar den Tod, aber vielleicht greift
sie zu einer anderen Strafe, weil… weil wir hier jeden Krieger
brauchen. Die Delysier sind uns zahlenmäßig
überlegen. Sie ist auf jeden von uns angewiesen.
Vielleicht…« Verfluchter Mist, woher sollte sie wissen, was
Belasir tun würde? In diesem schwarzkalten Scheißloch
hatte Belasir schon Sachen gemacht wie draußen kein
Oberkommandierender. »Vielleicht degradiert sie ihn nur oder
läßt ihn auspeitschen oder… oder sonst was.«
    Talot hob das Gesicht und sah Jehanna hoffnungsvoll an. Auspeitschen, bis er halbtot ist, dachte Jehanna und sah sich
die Peitsche schwingen. Die Vorstellung bereitete ihr zwar ein wildes
Vergnügen, konnte aber die Eifersucht nicht stillen.
    Aber Talot nickte langsam, und ihr Gesicht glättete sich.
»Ja, du hast recht, Belasir ist auf jeden von uns
angewiesen…«
    Jehanna kehrte ihr den Rücken zu, und ihre Füße
fischten blindlings nach den Sandalen. »Wie heißt er
denn?«
    Sie spürte Talots Zögern. »Jallaludin.«
    Jehanna kannte ihn. Er war groß und stark; die typische,
protzige Muskulatur eines Bruders; typisch auch die viel zu breiten
Schultern und die schmalen Lenden – das lächerliche
Zerrbild einer Schwester; Schwestern hatten vernünftige
Schultern und runde Hüften. Talot hatte da wohl einen anderen
Blick… Jehanna knirschte mit den Zähnen, zog die Sandalen
an und begann stumm ihr Haar zu flechten.
    »Jehanna…«
    »Geh zu Dahar. Jetzt gleich. Das ist ein Gebot der Ehre,
Talot.«
    Talot hatte schon die Arme ausgestreckt, um Jehanna zu umfangen.
Bei Jehannas Worten hielt sie mitten in der Bewegung inne und
ließ die Arme sinken. »Ich liebe dich, Jehanna«,
flüsterte sie.
    »Talot – ein Bruder, ich versteh das nicht!«
    »Das wußtest du vorher. Das hab ich dir gleich
gesagt.«
    »Aber nicht, daß er hier in R’Frow ist! Und auch
nicht, daß du immer noch Hurengefühle für ihn
hast!«
    Talot erstarrte. Jehanna wollte sich der Magen herumdrehen; sie
wollte Talot an sich drücken, wollte ihr sagen… Aber Talot
wich zurück, ihr Gesicht war eine bleiche Maske.
    »Dann gehe ich jetzt zu Dahar.«
    »Das solltest du«, sagte Jehanna genauso abweisend.
Talot war schon an der Tür und riß sie mit einem Ruck auf.
Jehanna trat sie wieder ins Schloß. Sie fielen sich in die Arme
und hielten einander fest umschlungen.
    Jehanna zwang sich zu reden, auch wenn ihr die Worte den Hals
verätzen wollten. »Vielleicht bleibt er ja am Leben, Talot.
Belasir ist auf jeden Krieger angewiesen…« In dem
Augenblick, da es ihr über die Lippen kam, stellte sie fest,
daß sie dummes Zeug redete. Wäre ja noch schöner.
    Talot rang sich ein Lächeln ab, ein schiefes, treuherziges
Lächeln, und ging aus dem Zimmer. Jehanna wartete, bis sie
sicher sein konnte, daß Talot die Leiter hinunter war, dann
nahm sie ihre Dreikugel auf und schleuderte die Waffe mit aller Kraft
durchs Zimmer. Talot und dieser Bruder, Talot und Jallaludin,
Talot…
    Die Dreikugel prallte mit unvorhergesehener Wucht von der Wand ab,
rasselte ringsherum durchs Zimmer und zerschlug unterwegs einen
Tonbecher.
    Jehanna hieb die Faust an die Wand und holte sich blutige
Knöchel. Sie hatte sich weder für das eine noch für
das andere richtig in Positur gestellt, und die Muskulatur des Arms
ächzte unter der Zumutung. Doch die Wand trug weder einen Fleck
noch eine Schramme davon; sie war aus Wroff.

 
27
     
    Belasir und Dahar blieben den Frühübungen auf dem
Trainingsgelände fern.
    Talot war noch nicht wieder zurück. Jehanna trainierte,
badete, aß und machte sich auf den Weg zur Unterrichtshalle.
Talot und Dahar würden zum Unterricht erscheinen, oder die Geds
würden sie holen.
    Es begann zu regnen; es war der zweite Regen,

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