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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sie drauf, schnappte nach dem Rand
des Tischchens und hing da, schwer keuchend, rosaroten Schaum auf den
Lippen.
    SaSa stemmte sich mit ihren kleinen Händen gegen ihn, und er
kam langsam wieder hoch, und dann umfing sie ihn mit beiden Armen,
damit er nicht zur anderen Seite kippte. Der Riese verdrehte die
Augen, und seine Zunge hing heraus wie ein nasser hellrosa
Lappen.
    »Hilfe«, krächzte SaSa verzweifelt. Ihre Stimme war
regelrecht eingerostet, so lange hatte sie brachgelegen. SaSa schien
gar nicht zu wissen, daß sie etwas gesagt hatte. Die Angst
stand ihr im Gesicht, während sie mit dem mächtigen Rumpf
rang, damit er nicht wieder kippte. Einen Moment lang sah es so aus,
als erhole sich der Barbar; er zog die Zunge wieder hinter die
Zähne zurück, und sein Blick kippte auf SaSa hinunter.
    Jehanna sah die Bestürzung in seinem Gesicht.
    Irgendwie schaffte es die Hure, ihn auf die Füße zu
stellen. Die Arme um seine Lenden, schob und zerrte sie ihn zur
Tür, in jeder Sehne ihres winzigen Körpers den Mut der
Verzweiflung. Plötzlich wußte Jehanna, woran die Hure sie
erinnerte – an einen Lorus, der sich verwundet und unter
Schmerzen zu seiner Erdhöhle kämpfte, um sich in Sicherheit
zu bringen.
    Der Riese taumelte, fing sich, taumelte wieder. Er blieb stehen
und schwankte elend, die Augen geschlossen, zu keinem Schritt mehr
fähig. SaSa schob und zerrte, aber all ihre Mühe war
umsonst.
    Zu Jehannas Überraschung machte der Ged keinerlei Anstalten
zu helfen. Er machte wieder diesen dusseligen Eindruck, als lausche
er auf irgendwas, obwohl es im ganzen Raum nichts weiter zu
hören gab als den keuchenden Atem des Riesen, kurze
Geräusche, die sich anhörten, als ob jedesmal ein
Stück Stoff durchgerissen würde. Die Jeliten sahen
erbarmungslos zu: zwei Brüder hatte der Barbar getötet. Und
SaSa war eine Hure, eine Hure, die glaubte, sonstwas zu sein. Die
Kriegerin links von Jehanna – wo Talot sonst immer gestanden
hatte – lächelte still vor sich hin.
    Eine dicke Frau auf der delysischen Seite blinzelte immerzu
nervös.
    SaSa winselte laut. Ihre Arme reichten nicht ganz um den Riesen
herum. Auf seinem Tebel sahen ihre Hände wie Puppenhände
aus – oder wie Kinderhände. Nach ihren Händen zu
urteilen, hätte sie nicht älter als elf sein
dürfen.
    Die Glasbläserin an Graxens Tisch stand auf. Einen Herzschlag
lang sah Jehanna ihr direkt in die Augen. Der Blick war irgendwie
entrückt. Jehanna hätte Stein und Bein geschworen,
daß die Delysierin die beiden gar nicht wahrnahm, sondern
irgend etwas anderes weit hinter den beiden. SaSa und Ayrid nahmen
den wankenden Riesen in die Mitte, jede umfing ihn mit den Armen.
SaSa schob, Ayrid zog. Wenn er taumelte, stemmten sich beide Frauen
gegen ihn. Wenn er schwankend dastand, ließen sie ihm Zeit. So
bugsierten sie ihn aus dem Raum.
    Sofort fing das Geflüster wieder an. Die delysische
Bürgerin, die so nervös geblinzelt hatte, sah Ayrid
mißbilligend hinterher. Das gekrauste, fette Gesicht erinnerte
Jehanna an einen Fisch.
    Und der Ged saß bloß da. Was für Krischeiße
wurde hier zusammengekehrt? Menschen fehlten, Menschen durften gehen,
die Schleimschnecke Ayrid half einem kranken Unhold, dem einzigen
Kranken in R’Frow, und die Hure hatte die Nase in der Luft, als
ob sie… ob sie…
    Wo war Talot?

 
28
     
    Die fünf Menschen standen auf einer Lichtung in der Wildnis
von R’Frow, und zwar bei den beiden Felsbuckeln, zwischen denen
der allgegenwärtige Fluß an die Oberfläche trat, nur
um irgendwo wieder im Boden zu verschwinden und woanders wieder
aufzutauchen. Zu niedrig für einen Hinterhalt, waren die Felsen
eine Art Landmarke, und ringsherum öffnete sich nach allen
Seiten die Lichtung. Der feine Sprühregen verwischte die
Konturen des Waldrands. Der Fluß war zwischen den Felsen leicht
angeschwollen.
    »Sie lassen uns warten«, sagte Belasir. Ihre
Kiefermuskeln arbeiteten.
    »Sie sind vorsichtig«, sagte Dahar.
    »Talot, Hände von den Waffen!« Talot fuhr unter der
schneidenden Stimme von Belasir zusammen und riß die Hand vom
Heft des Messers. Vermutlich, dachte Dahar, hatte sie nicht mal
bemerkt, wie ihre Hand sich verirrt hatte. Talot war aschgrau im
Gesicht, und ihre Augen waren geweitet vor Anspannung. Links von ihr
stand Ischak, ranghöchster Kaderführer der Bruderkrieger,
ein stämmiger, schweigsamer Mann, dessen Miene keinen Hehl
daraus machte, was er von diesem Treffen hielt. Zwischen ihm und
Talot stand, an Händen und Füßen

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