Fremdkörper
mitbekommen, machen alle nervös. Nicht etwas, sondern sehr. Selbst mein wiederholtes: »Ich habe doch diese Virus-Erkrankung. Das Virus wurde in meinem Blut nachgewiesen. Das dauert jetzt halt, hat die Internistin gesagt. Geht aber wieder weg«, scheint niemanden dauerhaft zu beruhigen. Ich halte es, wie früher auch, mit meiner festen Überzeugung, dass alles gut wird. Das gelingt mir nur bis zum Mittag.
Meine Familie hat einen strategisch lobenswerten Bespaßungs- und Anwesenheitsplan entworfen, nach dem gerade meine Mutter und Thom am Krankenbett sitzen, als sie, ich nenne sie mal »Dr. Olga«, ins Zimmer stürmt. Bei Dr. Olga handelt es sich um eine reizend aussehende, polnische Assistenzärztin mit einem immer lieben Lächeln im Gesicht, aber leider mageren Deutschkenntnissen. Normalerweise hätte ich die Herausforderung »Kommunikation mit Händen und Füßen« dankend angenommen. In diesem Fall lähmt mich der Schock. Denn Dr. Olga verkündet, lächelnd natürlich: »Wirrr misssen Liimfknottn norrchmall tscheckn. Ullltraschall.« – »Aber ... das haben wir doch schon vor Tagen gemacht.« – »Jätzt is da, Speziaaalist.« – »Jetzt? Sofort?« – »Ja.« Lächel. »Gaaans schnäll.« Lächel. Schnell, warum denn jetzt schon wieder schnell? Vielleicht gab es durch die Operation Anzeichen, dass in meinen Lymphknoten am Hals auch noch Tumorzellen sind und es hat mir einfach noch keiner gesagt. Wenn ja, dann heißt das überhaupt nichts Gutes. Mir dämmert allmählich der Grund für die ärztliche Besorgnis allerorts. Von den Lymphbahnen am Hals bis zu meinem Kopf ist es nicht mehr weit. Und eben dieser Kopf tut mir seit Tagen ziemlich weh. Das gruselige Schreckgespenst heißt Metastasen. Ein Tochtertumor im Hirn.
Oh nein. Oh nein. Oh nein. Kein Tumor im Hirn, bitte. Die gerade frisch gesammelte Welle an Optimismus spült sich mit einer Flut Tränen aus, die ich nicht mehr zurückhalten kann, während ich mich mit Thom schlurfend auf den Weg zum »Speziaaalisten« mache, Herrn Dr. Gericke. Warten zieht die Zeit unglaublich in die Länge. Unfassbar, wie weh einem 10 Minuten tun können. Wie zäh, langsam und qualvoll die Sekunden verrinnen. Eine mir aufmunternd zunickende Assistenzärztin versucht sich als Mutmacher. »Da wird schon nichts sein. Aber es ist gut, dass Dr. Gericke sich das ansieht. Der ist unsere Koryphäe. Der sieht und erkennt und findet alles.« Und bei mir hoffentlich nichts. Kurz darauf kommt er und am ehrfürchtigen Blick der Assistenzärztin lässt sich ablesen, wie viel Bewunderung und Respekt er in diesem Haus offenkundig genießt. Dr. Gericke wirft seine Maschine an und einen konzentrierten Blick auf das, was er da sieht. Sehr konzentriert. In meinem angeschlagenen Zustand befinde ich, eindeutig zu konzentriert. Wieder tropft es aus meinen Augen.
Ich kann einfach nicht mehr. Alles ist bisher immer schlimmer geworden. Zunächst hieß es, es sei »nur« eine Krebsvorstufe entdeckt worden. Noch nicht so furchtbar Furcht einflößend. Dann haben sie doch einen Tumor gefunden. Einen, den man per Ultraschall nicht sehen, maximal erahnen konnte. Das Brust- und Drüsengewebe von jungen Frauen ist so dicht, da zeigen sich die Knoten nicht so offensichtlich. Damit nicht genug: Der Tumor war leider auch nicht mehr der Allerkleinste. Und weiter geht es: Bei der Operation sehen und entfernen sie befallene Lymphknoten. Noch weiß ich nicht wie viele. Und jetzt habe ich mal wieder ziemlich große Angst. Panik, dass ich doch noch nicht frei von entarteten Zellen bin, sondern das Böse möglicherweise bis in mein Hirn gewandert ist. Mein Nervenkostüm ist dünn geworden. Ich kann schlechte Nachrichten nicht mehr ertragen. Und auch nicht das bange Warten darauf. Beziehungsweise auf irgendwelche Ergebnisse, die irgendwelche Ärzte für irgendeine unbestimmte Zeit wieder ruhigstellen. Bis der nächste mit seiner Idee zur Lösung des (dicke Lymphknoten am Hals-) Problems kommt: Denn das sind meistens sehr endliche Diagnosen. Ich mag das alles nicht mehr aushalten müssen. Mein Auffangbehältnis für Negativ-Schlagzeilen ist voll.
Mir fallen just in diesem Zusammenhang absurderweise die Besuche im Waxing-Studio ein. Haarlos glücklich dank Heißwachs. ( Ja, ich gehe da regelmäßig hin. Ja, man muss ein bisschen masochistisch veranlagt oder ziemlich tapfer sein. Denn es tut – ja – sehr weh. Jeder, der etwas anderes sagt, lügt.) Erst vor ein paar Wochen war ich da, mich frühlingsfein zu machen.
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