Fremdkörper
werde, und mein Liebster. Alle drei versuchen, so gut es geht, meine Aufregung in Grenzen zu halten. Ein aussichtsloses Unterfangen. Kurz bevor es losgeht bin ich nur noch mit Thom allein. Plötzlich wollen sie mich, schneller als gedacht, in den OP-Saal schieben. Dabei habe ich mich noch gar nicht von meiner Familie verabschiedet. Was, wenn ich nicht mehr wach werde? Wenn irgendetwas schiefgeht und das hier meine finalen Momente sind? Halt. Das geht so nicht. Stopp. Zurück. Ich muss doch etwas .... und ich will außerdem ... Selbst das Denken funktioniert nur lückenhaft. Wenigstens Thom an meiner Seite behält die Nerven und redet pausenlos auf mich ein. »Alles wird gut. Wenn du wieder aufwachst, ist das Schlimmste vorbei.« – »Aber wenn ich nicht mehr aufwache ...« – »Natürlich wachst du wieder auf. Die machen das hier jeden Tag. Mach dir keine Sorgen.« – »Und ihr? Macht ihr euch Sorgen? Das dauert ja jetzt ein paar Stunden.« Mein Schädel brummt. Es puckert und pocht, als wollte da jemand ausbrechen. »Mach dir um uns keinen Kopf. Wir warten und sind da, wenn du wieder zu dir kommst.« – »Thom, ich hab so Angst. Das alles macht mir Angst. Die Krankheit. Und die Operation jetzt. Was, wenn ich nicht mehr aufwache ...« (mein Verstand funktioniert nicht mehr, und das Beruhigungszeug noch nicht) – »In drei Stunden ist alles vorbei. Und du bist wieder gesund. Versuch daran zu denken.« – »Und wenn Lymphknoten befallen sind?« – »Dann nehmen sie die weg. Du gehst hier krebsfrei raus.« – »Ich will wieder aufwachen ...« (Der Saft zeigt langsam, dass er was kann.) – »Das wirst du. Und dann sind deine Eltern und Donna da. Und ich bin bei dir, die ganze Zeit mit jedem Gedanken und jedem guten Gefühl. Keine Angst, mein Mädchen.« – Ich hole tief Luft und murmel dann, deutlich leiser: »Ich mag das nicht, einfach ausgeknockt zu werden und dann so ausgeliefert zu sein.« (Halleluja, das Zeug wirkt.) – »Das mag keiner. Aber es geht ja nun mal nicht anders. Unser schönes, gesundes Leben danach – nimm das mit in die Träume.« Meine Operateurin kommt vorbei. Die kenne und mag ich schon eine ganze Weile. Sie betreut mich seit der Diagnose. Dr. Anja Lauckmann, eine gut aussehende, groß gewachsene Frau von aristokratischer Eleganz und Zurückhaltung. Mit ganz feinen Händen, die jeden Tag richtige Drecksarbeit machen: nämlich Krebs aus den Brüsten von Frauen rausholen. Ihre ruhige Art und ein liebevolles: »Keine Sorge. Ich kümmere mich um Sie«, helfen mir ein bisschen, Vertrauen in die Fähigkeiten derer zu haben, die dafür viele Semester hoffentlich hart studiert und bitte sehr nicht zu oft gefeiert haben. Dann stößt die Anästhesistin zu uns. Ihrem geschulten Scanblick entgeht sie natürlich nicht, die offensichtliche Unruhe formerly known as Panik. Warme Hände und Worte tun ihr Übriges. Ich rassel noch einmal schnell all meine tiefsten Befürchtungen vor ihr herunter und sie versichert mir, dass ihr »noch keine so junge Patientin auf dem Tisch liegen geblieben ist«. Gut, das geht sensibler. Aber das ist mir mittlerweile herzlich egal. Thom muss jetzt gehen. Ich höre noch die drei Lieblingsworte von ihm und ihr: »Schlafen Sie gut«, dann fühle ich, wie die Narkose meinen Körper und mit leichtem Verzug meinen Geist lahmlegt und in diesen eigentlich gar nicht so üblen schmerz-, sorgen- und angstfreien Zustand bringt. Meine beiden letzten Gedanken vor dem großen, schwarzen, weichen Loch weiß ich noch: Erstens: Hoffentlich dauert es nicht so lang, damit es für meine Familie nicht so nervenaufreibend ist, und zweitens: Wahnsinn. Jetzt bin ich weg.
Das erste Gebrabbel, das ich drei Stunden später, gerade frisch vom (OP-)Tisch genommen, von mir gebe, weiß ich nicht mehr. Daher habe ich es mir erzählen lassen. Kann nicht verkehrt sein, zu wissen, was man im Zustand geistiger Umnachtung so von sich gibt. Meine Ärztin, die mich auf- und wieder zugemacht hat, ist die erste Person, die mit mir redet. Kaum in der Lage dazu, weil sich Mund und Zunge noch wabbelig anfühlen, überrolle ich sie dennoch direkt mit meiner augenscheinlich wichtigsten Frage: »Waan Lümfknodn betroffn?« – »Ja.« – Ich seufze. Jammern geht noch nicht. Ist zu anstrengend. »Wievielehabensierausge ...?« – »Ein gutes Dutzend. Wie viele davon wirklich befallen sind, das zeigen erst die genaueren Untersuchungen. Jetzt ruhen Sie sich aber erst einmal aus.« Die Ermunterung zum Schlaf lasse ich
Weitere Kostenlose Bücher