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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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Weil ich eine normale Aufgabe hätte. Weil ich mich an drei Tagen pro Woche auch auf etwas anderes konzentrieren möchte als auf mein eigenes ach-so-furchtbares Schicksal. Außerdem mag ich meinen Job sehr. Und das Team. Und die Sendung. Das setzt doch lauter positive Energien frei. Ich will das versuchen.« – »Dann machen Sie das. Denn dann ist es gut. Und dann packen Sie das auch.« – »Und ... außerdem will ich seit ewigen Zeiten schon ausprobieren, ob mir kurze Haare auch stehen. Ich habe mich nie getraut. Zum einen, weil ich mich quasi nur langhaarig kenne. Zum anderen hätte ich dann ja auch noch den Mann austauschen müssen. So was machen Frauen doch nach Trennungen ... Haare ab.« Dr. Lauckmann lächelt und erklärt das Prozedere: Über viereinhalb Monate bekomme ich alle zwei Wochen meine Infusionen. Nacheinander drei unterschiedliche Cocktails. In einer ganz schön deutlich höheren Dosis als normal. Getreu dem Motto: Viel hilft viel, erst recht, wenn die Patientin noch jung ist und viel verträgt. Ich gestatte mir nicht viele Sekunden, um darüber nachzudenken, ob mir das in den Kram passt oder nicht. Ich will das durchziehen. Im Anschluss an die Zellgift-Kur die fast schon standardisierte Bestrahlung. Und das war es dann mit dem umfangreichen Intensivprogramm nach der OP. Dann beginnt mein Leben danach. Knapp sieben Monate Zähne zusammenbeißen. Davor zu stehen macht die Strecke lang. Rückblickend wird das, wie immer in solchen Fällen, ruck, zuck umgegangen sein. Und: Was ist das schon, auf eine Lebenszeit gerechnet – das muss doch hinzukriegen sein. Das kriegen wir hin. Denn in Thom habe ich einen geduldigen, ausdauernden und kämpferischen Partner, der Geduld, Ausdauer und Kampfeswillen besonders dann entwickelt, wenn mir eines der drei oder alles fehlt.
    Ich habe viele Fragen. Zur erwünschten Wirkung und den unerwünschten Nebenwirkungen. Dr. Lauckmann definiert sich beinahe den Mund krümelig. Am Ende präsentiert sie mir eine Idee, die sie augenscheinlich schon etwas länger mit sich herumträgt: »Ich kenne eine junge Patientin, Ihr Alter in etwa, bis ins Detail eine sehr ähnliche Diagnose. Die hat schon ihren ersten Zyklus, also eine Infusionssitzung, hinter sich. Vielleicht sollte ich Sie mit der vor Beginn Ihrer eigenen Chemotherapie mal bekannt machen. Natürlich nur, wenn Sie mögen.« – »Gerne.« Dann äußere ich kurz meine Bedenken: »Wichtig wäre mir, dass sie niemandem erzählt, wen sie gerade als Neuling im Gremium der zukünftigen Glatzköpfe begrüßen konnte. Ich würde das mit der Chemo nämlich so lange es geht gerne geheim halten.« – »Da mache ich mir nicht so große Sorgen. Es ist eine Kollegin, also selbst Ärztin. Sie wird dementsprechend verschwiegen sein.«

13. 
No place like home
    Als die Schwester mir mit dem routinierten Griff jahrelanger Übung die zwei Drainageschläuche aus der Brust rupft, zucke ich zwar kurz, muss dann aber sicherlich schelmisch grinsen. Es ist doch verblüffend, wie nah die eigene Vorstellungskraft an die Realität kommen kann. Ich habe diesen Augenblick, in dem mir diese Saftablauf-Leitungen gezogen werden, so sehr herbeigesehnt (weil das ja bedeutete: ich darf heim), dass meine Fantasie den Vorgang x-mal durchgespielt hat. Und das Kuriose: Genauso, wie ich es mir ausgemalt habe, hat es sich auch angefühlt. Etwas ziepend, aber nicht wirklich schmerzhaft, höchstens unangenehm, weil ungewohnt, rutschen die Schläuche aus mir heraus. Nicht glitschig flutschend, sondern schon etwas zäh wie gegen Widerstand. Vermutlich, weil sie nach fünf Tagen einfach etwas eingewachsen sind. Was die Deckungsgleichheit von Vorstellung und Wirklichkeit betrifft, ging es mir ähnlich beim Skelett-Scan, der Szintigrafie, vor der OP. Eine andere, im wahrsten Sinne des Wortes, merk-würdige, medizinische Erfahrung. Die PET-Untersuchung liefert so eine Art Ganzkörper-Knochen-Bild, für das eine sehr geringe, radioaktive Flüssigkeit in den Körper injiziert wird, um mögliche Metastasen sichtbar zu machen. Ich wurde vorgewarnt, dass »einem sehr heiß wird, sobald das Mittel in den Blutkreislauf gespritzt wird«. Und so war es dann auch. Ein abgefahrenes Erlebnis: In weniger als zwei Sekunden schießt ein brennender Strahl von der Einstichstelle in jeden Winkel des Körpers. Da wird einem nicht nur warm ums Herz, sondern besonders an gut durchbluteten Stellen wie den Schleimhäuten zum Beispiel. Lustigerweise fühlt man recht genau die Strecke und

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