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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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mir nicht zweimal sagen und nicke noch einmal postnarkotisch weg. Thoms Streicheln holt mich zurück ins wache Leben. »War’s schlimm für euch?« – »Was meinst du?« – »Na, das Warten die ganze Zeit.« – »Nein. Es ist alles gut. Wir sind alle da.« – »Alle ... alle ... daaa ...« Wieder rollt der Kopf, in dem es immer noch klopft und drückt, zur Seite, wieder schlummere ich ein bisschen vor mich hin. So geht das noch einige Male, bis ich endlich in einem ansprechbaren, wenn auch nicht ansprechenden, Zustand bleibe und mich daran erfreuen kann, dass meine Familie um mich ist. Donna hat ganz viel gebetet. Wie gesagt: Sie und Gott, die beiden sind so (so, also Mittelfinger gekreuzt über Zeigefinger). Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
    Ich betrachte meinen Verband, der über beide Busen geht. Der Mull ist so fest gespannt, dass mein Oberkörper richtiggehend burschikos wirkt. Obwohl ich weiß, dass diese Kompression so sein muss, fummel ich (Mama sagt: »Lass das doch lieber.« Ich: »Will aber.«) mit Daumen und Zeigefinger so lange vorsichtig die Bahnen zur Seite, bis ich mich überzeugt habe, dass alles hügelig wie eh und je ist. Und zwar links wie rechts. Man weiß ja nie, ob die sich am Ende nicht doch ein ums andere Mal vertun. Und am falschen Früchtchen rumschnippeln oder zu viel wegmachen. Die zukünftige Narbe – oder sind es mehrere? – kann ich zu meinem großen Bedauern noch nicht prüfend unter die Lupe nehmen. Da kleben feste, pflasterähnliche Vierecke drüber. Schade. Ich übe mich in Geduld. Wenngleich nicht in allen Belangen. Denn als ich am frühen Nachmittag zu meiner eigenen Begeisterung feststelle, dass mein Blutdruck wieder auf einem Niveau ist, an dem ich nichts auszusetzen weiß, wähle ich die präsenile Bettflucht. Runter von dieser ausgebeulten Matratze. Die Mama hat das, was man in so einer Situation als anständige Mutter haben muss: Einwände. Aber da sie mich nicht stoppen kann, steht sie mir lieber mit physiotherapeutischem Rat und ihrem Unterarm als Stütze zur Seite. Meine Tour über den Krankenhausflur ist kurz, langsam und etwas wackelig, okay. Aber das Gefühl, nach diesem wichtigen Schritt des Gesundwerdens – der OP – wieder einige eigene echte Schritte zu machen, ist unbezahlbar. Ich bin wieder hergestellt. Eine Woge Glücksgefühl breitet sich warm und kribbelnd in mir aus. Ich weiß, dass in meinem Körper jetzt nichts mehr ist, was da nicht hingehört. Das, was mich kaputt machen würde, ist selbst kaputt. Ätsch. Der Abend auf Station 112 wird tatsächlich fröhlich. Daran kann sogar der Kopfschmerz nichts ändern, der sich in den vergangenen Stunden nur kurze Auszeiten genommen hat. Am liebsten hätte mich Thom wahrscheinlich bekocht. So wie so oft zu Hause, wenn wir uns eine feine Zweisamkeit gestalten. Da er sich, auch auf mein Anraten hin, den Küchenchef der Krankenhaus-Kantine nicht zum Feind machen will, – nachher spuckt der mir sonst noch in die Schonkostsuppe – wählt er die unauffälligere Variante: Er holt was Leckeres vom Thai-Imbiss. In meinem Traum in dieser Nacht will ich auf einer Reispapierrolle durch ein Land fliegen, in dem Kokosmilch und Honig fließen und Saté-Spießchen in meinem Garten wachsen. Hossa, der Krebs ist tot.

11. 
So einen dicken Hals
    Die Nacht war gut. Ich habe schnell, tief und schmerzfrei geschlafen. Der modernen Medizin und ihren legalen Drogen sei Dank, nehme ich an. Ich will gar nicht so genau wissen, wie hoch die Dosis Schlaf- und Schmerzmittel war. Fest steht, ich muss bis zur Augenbraue damit vollgepumpt worden sein. Denn ich fühle mich ausgeruht wie lange nicht mehr, immer noch glücklich, und so fit, dass ich jetzt am liebsten meine Koffer packen und nach Hause fahren würde. Meine Ärztin hat dummerweise etwas dagegen. Und es ist auch erst 5 Uhr 27. Also begebe ich mich wieder auf Wanderschaft im Krankenhausflur. Allein. Ohne Mamas oder irgendeinen anderen Unterarm. Die Schwestern gucken ein bisschen irritiert bis besorgt, ich werfe ihnen so etwas wie »Kreislauf stabilisieren« zu und sie lassen mich gewähren. Mal abgesehen davon, hätte ich mir das Laufen auch nur schwer verbieten lassen. In solchen Angelegenheiten kann ich bisweilen ziemlich zickig sein. Zurück im Bett tastet sich meine rechte Hand instinktiv vor zu meinem Hals. »Mensch, die sind ja immer noch so dick,« murmel ich vor mich hin. Meine überdimensionierten Lymphknoten, das habe ich in den vergangenen Tagen

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