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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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Das heißt: Enthaarung mit Heißwachs an den Stellen, die bitte sehr glatt und glänzend sein sollen. Die Unterschenkel zum Beispiel. Als meine persönliche Herrscherin der Härchen damit fertig ist, sagt sie: »Sollen wir die Oberschenkel nicht auch machen? Da ist nicht viel. Aber nichts ist besser als wenig. Und dann ist das auch schön glatt und weich.« – »Gerne. Weich ist gut.« (Außerdem ist es mit dem Waxing wie mit dem Tätowieren: Hat man einmal damit angefangen, kann man nur schwer aufhören). Eine Viertelstunde später strahlen meine Schenkel leuchtend rot gepunktet, aber: Sie sind härchenfrei. »Die Unterarme auch noch, oder?« Dieses Mal kommt der Vorschlag von mir. Aber sicher doch. Ein paar Rrraaatschs darauf sind die Arme – bis zur Schulter! – von der selbst feinsten Behaarung befreit. Der Schweiß steht mir auf der Stirn. Und auch ein bisschen unter den Achseln. Wo sich wenige Minuten darauf zumindest kein Haar mehr befindet. Je länger der Schmerz andauert, umso weniger halte ich ihn gut aus. Dementsprechend quengelig blicke ich drein, als mein Wachs-Weib, das jeden Streifen entfernter Haare zufrieden abnickt, flötet: »So, und zu guter Letzt gucken wir mal, was über der Oberlippe so wächst. Vielleicht reicht da ja auch zupfen.« Uääääh. Das tut weh. Wenn ich Haare auf den Zähnen hätte, meine Depiladora hätte mir die auch noch weggewachst. Ich weigere mich an welchen Stellen auch immer weiterzumachen. Nach einer Stunde Dauer-Aua reicht es. Ich kann nicht mehr. Schmerz-Pause, bitte. Und: Genauso ist es mit schlechten Nachrichten. Irgendwann reicht es. Irgendwann ist auch mal gut. Und irgendwann ist jetzt.
    Dr. Gericke sieht mein nasses Gesicht, zuckt zusammen und beschwichtigt mit fast väterlicher Weichheit: »Nein. Nein. Nicht doch. Soweit ich sehe, ist alles gut. Schauen Sie hier ...« Er erklärt mir detailliert, was die Farben und Schattierungen auf dem sonst dunklen Monitor zu bedeuten haben. Ich gebe zu, ich höre nur halb hin. Thom ist ja da, der wird mir das nachher noch einmal erzählen können. Alles. Ist. Gut. Das hat der »Speziaaalist« eben gesagt. Kein Krebs am Hals und auch nicht im Kopf. Juchheee. Ich bedanke mich beim großen Chef mit einem Kurzgruß, der nur so lange dauert wie die Fahrt im Fahrstuhl. Als die Tür sich öffnet, begegne ich Dr. Olga. Mit aufgerichtetem Daumen zeige ich ihr an, dass es optimal gelaufen ist für mich. Sie seufzt auf. Ein definitiv erleichtertes Seufzen. Und dann lächelt sie wieder. »Daas isd sährrr gudd. Säähr gudd.« Ihre Anteilnahme und Fröhlichkeit über das Ergebnis machen mir klar, dass jedwedes Ungeschick oder fehlendes Feingefühl ihrerseits wohl auf das Konto der Sprachbarriere geht. Ich stürme, so schnell das geht mit meinem Tropf-Trolley in der rechten und den Drainage-Beuteln für die Wundflüssigkeit in der linken Hand, in mein Zimmer und rufe meiner wartenden Mutter schon im Türrahmen zu: »Alles gut, Mama. Alles ist gut!« Ihre Reaktion werde ich nie vergessen. Seit Tagen saß sie ruhig und gefasst an meinem Bett. Hat mir Hoffnung zugesprochen oder meine Tränen weggetupft. Mich gehalten und liebkost. Sich selbst so sehr zurückgenommen und zusammengerissen, dass ich bloß nichts von ihrer eigenen Angst und vermutlich recht großen Sorge um mich mitbekomme. Jetzt reißt sie ihre Ärmchen und die zur Freude geballten Fäuste in die Luft und springt in ihrem Stuhl einmal auf und ab. Das sieht sehr süß aus und beschert meinen Tränendrüsen eine weitere Arbeitseinheit. Immerhin schaffe ich es, nicht schon wieder loszuheulen. Ich kann nur vermuten, wie viel Anspannung und Verzweiflung sich in diesem Jubel über die gute Nachricht soeben explosionsartig gelöst haben. Einmal mehr hebt mein Gedächtnis-Männchen seinen kleinen, mahnenden Zeigestock und wiederholt, was ich eigentlich weiß: »Was dir im Herzen so doll wehtut, das tut auch denen weh, denen du doll am Herzen liegst. Und womöglich sogar um ein Vielfaches mehr. Denn sie können nur zusehen und dir beistehen – und nichts wirklich tun.« Guter Hinweis, bringt mich zu einer Grundsatzfrage: Was trage ich eigentlich zum Besserwerden der Situation bei? Operiert hat mich meine – ich schließe sie immer fester ins Herz – fantastische Dr. Lauckmann. Sie wird mich auch weiter unter Beobachtung halten. Aber amtlich aktiv werden kann ich erst, wenn die Wunden gut verheilt sind. Doch bis dahin? Hm ... versuche ich weiterhin den Pfützen, die randvoll sind

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