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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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das eingestehen mag, sondern auch weil morgen früh schon wieder die nächste Strahleneinheit ansteht.
    Am nächsten Tag bringe ich zunächst meinen Pflichttermin hinter mich und dann meine Ärztin zur Verzweiflung. Zumindest wäre sie aufgebracht, wenn sie ahnte, was ich hier tue. Doch das, was ich vorhabe, muss jetzt sein. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß. Ich dafür aber das Badezimmer. Ich lasse mir eine Wanne mit Wasser einlaufen. Eigentlich ist es verboten, die bestrahlten Stellen und auch die Markierungen mit Wasser und erst recht mit seifehaltiger Lösung in Berührung kommen zu lassen. Das ist mir im Moment ziemlich egal. Die angemalten Felder sind mit einem wasserfesten Pflaster verklebt. Mir geht es sehr gut. Die Haut zeigt (noch?) keine Reaktion. Warum also nicht ein kleines Entspannungsbad? Wenn ich das nicht gut vertrage, lass ich es eben demnächst. Doch das Gegenteil ist der Fall: Da ich eigentlich eine verhinderte Ente bin, mit Schwimmhäuten auf die Welt hätte kommen müssen, stellt sich auch jetzt unmittelbares Wohlbefinden ein. Tut das gut. Ich strahle. Nicht nur innerlich.

41. 
Großmutter (Woche 21)
    Ich habe Sehnsucht nach meiner Großmutter. Viel zu lange habe ich sie schon nicht mehr gesehen. Besuche habe ich in den vergangenen Monaten bewusst vermieden, weil ich ihr meinen Anblick ersparen wollte. Ich weiß, dass sie das nicht gut verkraften würde. Immerhin ist sie bald 90. Und sie soll mich im Herzen und im Kopf mit Haaren auf dem Kopf behalten, wie bei der letzten Stippvisite vor der Diagnose. Sie weiß zwar von meiner Krankheit. Aber ich setze ein bisschen auf die heilsame Wirkung der Vergesslichkeit und hoffe, dass sie sich nicht so oft daran erinnert. Wir telefonieren dieser Tage sehr viel. Einer inneren Stimme und Dringlichkeit folgend rufe ich sie seit einigen Wochen beinahe täglich an. Wir reden über Gott (der ihr sehr wichtig ist) und die Welt (die ihr zu groß geworden und nicht mehr ganz so wichtig ist). Ein täglicher Plausch zum Morgen, der für mich so kostbar ist wie das Gespräch am Abend mit meinem alten Herrn. Nur noch ein paar Wochen, dann werden meine Haare wieder so in Form sein, dass ich mich ihr gerne und bedenkenlos zeigen kann. Im Zweifel wird sie kurz den Verlust der langen Wellen beklagen, nur um im gleichen Atemzug den Vorzug einer praktischen Kurzhaarfrisur herauszustellen. Nicht umsonst trägt sie seit bestimmt 40 Jahren auch eine. Sie wird einen Scherz darüber machen, dass ich ja auch keine üppige Haarpracht mehr brauche – von ihr stammt: »Mädchen, mach dir Locken. Sonst bleibste hocken« –, weil ich ja bereits einen Liebsten an meiner Seite habe. Dann wird sie mir über den Kopf und die Wange streichen. Und mich in den Bauch zwicken. So wie sie es seit 30 Jahren tut. Und mit mir über Neues aus dem Dorf oder der Nachbarschaft plaudern. Manchmal dieselbe Geschichte zweimal hintereinander. Darauf freue ich mich, weil sie mir fehlt. Nicht mehr lang, also. Omi, ich komme!
    Bevor ich zu ihr kommen konnte, ist sie gegangen. Still und leise. Und ohne Tschüss zu sagen. Genau wie mein Großvater ziemlich genau zehn Jahre vor ihr. Ich höre die Worte meiner Schwester am Telefon, die mir die traurige Nachricht überbringt. Ich höre mich einigermaßen gefasst antworten. Aber wirklich fassen kann ich das Gehörte nicht. Unsere Großmutter ist tot. Meine Omi. Omi ... Der Schock wird abgelöst von Tränen. Ich weine um einen sehr geliebten Menschen. Um verpasste Chancen und falsche Entscheidungen. Um Fragen, die keine Antworten mehr bekommen. Um Gesagtes und Ungesagtes. Ich weine vor Schmerz, den die sich nie mehr erfüllende Sehnsucht ausmacht. Und vor Wut über schlechtes Timing. Tja. Stimmt das des Todes jemals? Sie hat es gut gehabt. Sagt der Kopf. Ich hätte ihr so gerne noch gutgetan. Sagt das Herz. Sie durfte ein gesegnetes Alter erreichen. Der Kopf. Aber noch ein bisschen älter, wäre auch ein Segen gewesen. Das Herz. Es tut so weh. Erwachsen werden fängt spätestens damit an, kein Enkelkind mehr zu sein, denke ich bei mir. Und fühle bleiern schwere Ketten um mein Herz oder was auch immer gerade so brennt gelegt. Und wieder dieses dicke, unerwünschte Ding in meinem Hals, das einem das Atmen und Schlucken so schwer macht. Verdammt. Es tut weh. So weh. Nie wieder Enkeltochter. Nie wieder Oma. Ich muss daran denken, dass sie mir Fahrrad fahren beigebracht hat. Und häkeln. Dass wir früher gerne Dalli Dalli zusammen geguckt haben. Und

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