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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Pielhau
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Rommé gespielt. Oder die vielen, bunten Socken, die sie mir gestrickt hat. Die habe ich heute noch. Natürlich. Ich bewundere sie dafür, dass sie mit fast 70 noch schwimmen gelernt hat. Und ein paar Sätze englisch. Ihre Haut im Gesicht war bis zuletzt zart wie Babypuder. Niemand konnte besseren Käsekuchen backen als meine Großmutter. Oh, Mann. Der Tod ist gemein. Auch und immer für die, die zurückbleiben.
    Seit einer Stunde weiß ich, dass ich nun gar keine Großeltern mehr habe. Eine Stunde lang habe ich mich der Traurigkeit und meiner eigenen Schwäche hingegeben. Ich halte inne, richte mich auf und hole tief Luft. Ich muss versuchen, mich ein wenig zu sammeln. Wie war das noch? Seelische Pein ist ein bekannter Auslöser für diese vermaledeite Krankheit. Gram, Leid und Depression schlagen eben nicht nur aufs Gemüt, sondern manchmal auch auf gesundes Gewebe. Hm. Das hätte sie nicht gewollt. Also muss ich jetzt sehr schnell eine Strategie entwickeln, wie ich mit dem Kummer umgehe, ohne dass daraus ein neuerlicher Knoten entsteht. Absonderliche Situation. Mir ist nach Trauern und Klagen zumute. Gleichzeitig macht es mir aber angst und bange, diese Gefühle wirklich zuzulassen. Chaos in meinem Oberstübchen. Das Weinen muss über die Hemmschwelle der Panik vor einer neuen Gesundheitskatastrophe. Der verstopfte Hals brennt. Ich weiß nicht, in welchen Raum meines Kummers ich rennen soll. Hinter mir Flammen. Vor mir auch.
    Bevor ich im Türrahmen zwischen den Zimmern meiner Gefühle, dieser beiden Herzkammern, Feuer fange, renne ich wirklich los. Am Tag darauf. Und zwar raus ins Grüne. Ich laufe nicht wirklich zügig. Aber ziemlich lang. Wenn ich mir vor lauter Angst schon die Tränen nicht gestatte, werde ich die angestaute Flüssigkeit eben auf andere Art und Weise los. Ich rede viel mit ihr, während sich meine Beine bergauf und bergab durch den Park mühen. Ich lasse sie wissen, wie sehr ich sie vermisse. Und liebe. Wenn dann doch mal ein Tropfen aus meinen Augen fällt, dann tröste ich mich damit, dass es auch Anstrengung sein könnte. Der Hals ist freier und auch der Herzschmerz lässt nach der Einheit nach. Wenigstens für eine Weile. Kurzum: Das Joggen beweist sich in diesen Tagen mal wieder als die eine Lösung für mich. Spannungslösung in diesem Fall. Jeden Morgen steige ich in meine Schuhe und lasse Gedanken, Gefühle und Wehtuendes auf der (Jogging-)Strecke. Und ich berichte ihr von all dem, was ich ihr gerne auch von Angesicht zu Angesicht gesagt hätte. Weil es viel zu erzählen gibt, bin ich daher mindestens eine Stunde unterwegs. Das bedeutet, in einer Woche lege ich um die 70 Kilometer zurück. Das Laufen lohnt sich doppelt. Ich bekomme eine Ahnung davon, dass die Entzündung der Seele verheilen wird. Irgendwann. Langsam. Aber sicher. Auch wenn die Wunde jetzt immer noch und immer wieder ihren Schorf verliert. Ein weiterer Nebeneffekt: Das Training tut meinen Muskeln gut. Denn der etwas sehr ehrgeizige Plan mit dem Halbmarathon steht noch. Angemeldet habe ich mich bereits. In der nächsten Woche will ich mein Pensum für sieben Tage auf 87 Kilometer erhöhen. Für jedes ihrer Lebensjahre einen.

42. 
42,195 geteilt durch 2 = Halbmarathon (Woche 22)
    Die Nacht vor meinem großen Tag ist eine durch und durch unruhige. Das ist aber auch aufregend. Ich habe erst ein einziges Mal einen Laufwettbewerb mitgemacht. Doch die Strecke war damals noch nicht mal halb so lang. Und das Ganze fand in Berlin statt. Also Heimvorteil. Hier in Braunschweig bin ich richtig hibbelig. Habe die Nacht bei meinem Schwager und seiner Frau verbracht. Als ich aufwache, sieht das Bett inklusive Zeug so aus, als wäre ich die Runde heute Nacht schon einmal abgelaufen. Puh. Erholsam war das nicht. Übertriebener-, aber nicht mehr verhinderbarerweise macht sich in mir deutlich wahrnehmbare Nervosität breit. So ist das eben, wenn ich sonst nicht viel zu tun habe, dann ist noch genug Zeit für eine hübsche Panikattacke. Hoffentlich reicht die Kraft. Hoffentlich macht der Kreislauf mit. Hoffentlich komme ich im Ziel an. Auch ohne zu 100 Prozent aufgeladene Akkus.
    Gegessen habe ich so, dass es jedem Sportmediziner ein ökotrophologisches und zelluläres Fest hätte gewesen sein müssen. Ein thailändisches Hühnchengericht mit viel Reis. Kohlehydrate für die Energiespeicher. Außerdem gibt es an der Strecke regelmäßig Wasser und Bananen. Habe ich im Internet nachlesen können. Da schaue ich mir auch jetzt noch einmal

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