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French 75: Ein Rostock-Krimi

French 75: Ein Rostock-Krimi

Titel: French 75: Ein Rostock-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard R. Roesch
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einem Schluck aus, drückte noch auf den Knopf, der die Gardinenelektronik in Gang brachte, und legte sich den Kopf auf die Hände. Tobias streckte die Beine von sich, hörte ein wenig den Vögel zu und schnarchte bald darauf leise vor sich hin.
    Er träumte von zehntausend Euro in Fünf-Euro-Scheinen, die locker gehäuft auf einem nierenförmigen Tisch lagen. Darin befand sich der augenlose Kopf seiner Erzeugerin. Ihr Leib fehlte. Anstelle der Haare hatte der Kopf kleine, grüne Giftschlangen, die vor sich hin züngelten und nur darauf warteten, dass der kleine Tobi in den Geldhaufen griff. Tat er aber nicht! Der kleine Tobi drehte sich um und verließ das Zimmer auf seinem Dreirad. Er eierte durch dunkle Flure, helle Zimmer und Unmengen von Küchen, in denen das Wasser am Hahn gefroren war.

XVI
     
    Exakt um neunzehn Uhr vierzig klopfte es an der Hotelzimmertür, Tobias schrak hoch und rief: »Herein.« Er gähnte und streckte sich.
    Von draußen sagte eine Stimme im besten Wienerisch: »Mein Herr, das geht leider nicht. Wenn Sie so gut wären, mir zu öffnen? – Hier ist Ihr Schneider, wenn Sie so gut wären?«
    »Moment!«, rief Tobias, als er merkte, dass sich im Schlaf sein Penis versteift hatte, und dachte: Mist!
    Er setzte sich auf die Bettkante, wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht, gähnte noch einmal und rechnete eine komplizierte Mathematikaufgabe aus, ehe er aufstehen und zur Tür gehen konnte.
    »Kommen Sie, kommen Sie schon!«, sagte er. »Wir haben keine Zeit, keine Zeit!«
    »Aber an mir liegt es nicht, mein Herr, ich bin pünktlich. Pünktlich, kaum zu glauben.«
    »Haben Sie alles?«
    Der glatzköpfige Schneidermeister nickte, zog den Reißverschluss eines Kleidersacks auf und holte einen schwarzen Anzug heraus: »Sie meinten, Größe L, aber so etwas führen wir nicht. Ich habe mich bei den Kaufhäusern erkundigt, was gemeinhin L ist. Dieser müsste Ihnen eigentlich recht gut passen, Sie sind ja schlank. Das Ebenmaß eines Körpers, der junge Herr, wenn ich sagen darf. Wollen Sie probieren? Im Auto habe ich noch andere Größen. Hier sind die Hemden, schneeweiß wie die Gipfel unserer schönen Berge ringsherum. Haben Sie unsere Berge schon betrachtet? Hier wären die Hemden. – Wenn ich die Hose für Sie schließen darf? Wirklich ein schöner Körper, wie gemacht, um nur die besten Anzüge der Welt zu tragen. Passt! Sie brauchen nicht einmal einen Gürtel! – Und lassen Sie sehen, drehen Sie sich, ja, auch am Allerwertesten, mein junger Herr, wirklich eine Augenweide, die Anzughose meine ich natürlich. – Wenn Sie sich das Hemd überziehen wollen? Manschettenknöpfe habe ich auch, falls Sie keine dabeihaben.«
    »Nein, nein, da habe ich meine eigenen! Glücksbringer.«
    »Ich verstehe! Diamantenbesetzte Glücksbringer, ich staune, der junge Herr versteht zu leben! Sie würden es in unserer Wiener Gesellschaft recht gut haben, einen wirklich ausgeprägten Geschmackssinn, den Sie da haben. – So, vielleicht noch das Jackett übergestreift? Nur zur Probe?«
    Tobias nickte, als es erneut klopfte.
    »Ach, das ist nur mein Geselle, er sollte die Schuhe noch fix überpolieren, wenn Sie erlauben?«
    Tobias ging zum mannshohen Spiegel und musterte sich. Sein junges Gesicht mit den schwarzen Pupillen werde vom Anzug gut unterstützt, fand er. Mit den Fingern strich er die langen, welligen Haare zurück, deren Dunkelblond in Verbindung mit den dunklen Pupillen sehr selten war. Er zupfte sich den Pony zurecht und gähnte noch einmal, während er vom kleinen Zimmerflur aus einen kurzen Streit hörte. Dann erschall eine Ohrfeige, ein unterdrückter Schrei folgte, ehe der Meister mit seinem Gesellen im Zimmer erschien.
    »Probleme?«, fragte Tobias, ohne den Blick vom Spiegel zu nehmen.
    »Nein, nein, alles gut, alles bestens!«, sagte der Meister. »Wenn Sie die Schuhe anprobieren wollen? Ich hörte, Ihre Veranstaltung beginnt gleich. Sogar einige Staatsminister sind anwesend und das Fernsehen!«
    »Es geht sowieso erst los, wenn ich da bin. Ohne mich können sie ja schlecht anfangen.«
    »Noch besser.«
    Tobias setzte sich auf einen Sessel, streckte die Beine von sich und sah dem Gesellen, der im Alter seines Vaters war, zu, wie er ihm die Schuhe über die Füße streifte.
    Wiener müsste man sein , dachte der Poet, während der Geselle noch einmal mit einem Lappen das Leder polierte. Tobias spürte die Bewegungen durchs dünne Oberleder. Er stand auf, machte ein paar Schritte und war

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