French, Tana
essen anbietet, könnte ich das als Einladung auffassen, wieder einzuziehen
- und frühstückte auf einer Mauer sitzend, während ich beobachtete, wie
übergewichtige Anzugträger in dicken Schlitten die Wut kriegten, wenn die
Verkehrsfluten sich nicht extra für sie teilten. Dann rief ich meine Mailbox
an.
»Ja, ähm,
Frank ... Hi. Ich bin's, Kev. Hör mal, ich weiß, du hast gesagt, es ist
ungünstig, aber ... ich meine, nicht jetzt, aber wenn du Zeit hast, rufst du
mich dann mal an? Am besten noch heute Abend, auch wenn's spät ist, macht gar
nichts. Ahm. Danke. Bye.«
Das zweite
Mal legte er wieder auf, ohne Nachricht. Ebenso beim dritten Mal, während Holly
und Jackie und ich uns den Bauch mit Pizza vollschlugen. Der vierte Anruf war
um kurz vor sieben gewesen, vermutlich als Kevin auf dem Weg zu Ma und Dad war.
»Frank, ich bin's noch mal. Hör zu ... ich muss echt mit dir sprechen. Ich
weiß, du willst wahrscheinlich gar nicht über den ganzen Mist nachdenken, klar,
aber ich schwöre, ich hab nicht vor, dich kirre zu machen, ich ... Rufst du
mich bitte an? Okay, ähm, also dann ... bye.«
Zwischen
Samstagnacht, als ich ihn zurück zum Pub schickte, und Sonntagnachmittag, als
der Telefonterror losging, hatte sich irgendetwas verändert. Möglich, dass es
um etwas ging, was unterwegs passiert war, vielleicht im Pub - bei einigen Stammgästen
des Blackbird ist es purer Zufall, dass sie noch
niemanden umgebracht haben -, aber das bezweifelte ich. Kevin war schon nervös
gewesen, ehe er überhaupt im Pub auftauchte. Alles, was ich über ihn wusste -
und ich glaubte noch immer, dass das etwas zählte —, sagte mir, dass er ein
gelassener Typ gewesen war, aber ungefähr von dem Zeitpunkt an, als wir
zusammen in Nummer 16 gewesen waren, hatte er unruhig gewirkt. Ich hatte mir
das damit erklärt, dass der Durchschnittsbürger durch den Gedanken an Tote nun
mal ein wenig aus der Bahn geworfen wird - und ich hatte mir über andere Dinge
den Kopf zerbrochen. Aber es musste weit mehr dahintergesteckt haben.
Was immer
Kevin auch beschäftigt hatte, es war irgendetwas, das nicht erst am letzten
Wochenende passiert war. Es hatte tief in seinem Unterbewusstsein festgesteckt,
vielleicht seit zweiundzwanzig Jahren, bis es am Samstag durch irgendetwas
gelockert worden war. Ganz allmählich - unser Kev war nie der Schnellsten einer
gewesen - war es im weiteten Verlauf des Tages an die Oberfläche getrieben und
hatte ihn angestupst, immer fester. Er hatte vierundzwanzig Stunden lang
versucht, es zu ignorieren oder daraus schlau zu werden oder mit dem, was es
bedeutete, allein klarzukommen, und dann hatte er seinen großen Bruder Francis
um Hilfe bitten wollen. Als ich ihn abblitzen ließ, hatte er sich an die
schlimmstmögliche Person gewandt.
Er hatte
eine nette Stimme, am Telefon. Selbst in seiner verwirrten und besorgten
Verfassung klang er angenehm. Wie ein Guter, wie jemand, den man gern
kennenlernen würde.
Was meine
nächsten Schritte betraf, so waren meine Möglichkeiten begrenzt. Die
Vorstellung, jovial mit den Nachbarn zu plaudern, erschien mir längst nicht
mehr so prickelnd, seit ich wusste, dass die Hälfte von ihnen mich für einen
kaltblütigen Ninja-Brudermörder hielt, und außerdem musste ich mich aus Rockys
Blickfeld raushalten, und wenn auch nur Georges Verdauung zuliebe. Andererseits
fand ich die Vorstellung, die ganze Zeit nur Däumchen zu drehen und wie ein
Teenager nach dem ersten Kuss auf mein Handy zu starren, in der Hoffnung, dass
Stephens Nummer im Display erschien, auch nicht sonderlich reizvoll. Wenn ich
nichts tue, sollte das möglichst einen Zweck haben.
Irgendetwas
zwickte mich im Nacken, als würde mir jemand einzeln die kleinen Härchen
ausreißen. Ich achte auf so ein Gefühl. Ich hätte schon eine Menge Situationen
nicht überlebt, wenn ich es ignoriert hätte. Irgendetwas übersah ich,
irgendetwas, das ich gesehen oder gehört und nicht beachtet hatte.
Verdeckte
Ermittler können nicht alles Interessante auf Video aufnehmen, so wie die
Kollegen vom Morddezernat, daher haben wir alle ein sehr, sehr gutes
Gedächtnis. Ich machte es mir auf der Mauer etwas bequemer, zündete mir eine
Zigarette an und ging noch einmal jede einzelne Information durch, die ich in
den letzten paar Tagen gesammelt hatte.
Eine Sache
stach heraus: Ich konnte mir noch immer nicht erklären, wie der Koffer in den
Kamin gekommen war. Laut Nora musste er irgendwann zwischen Donnerstagnachmittag,
als sie sich
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