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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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Holly gegenüber habe ich ein ganz eigenständiges Gewissen. »Das steht
noch nicht fest, Liebes.«
    Endlich
glitten ihre Augen zu mir herüber, geschwollen und gerötet und heftig wie ein
Fausthieb. »Aber du findest es raus. Nicht?«
    »Ja«,
sagte ich. »Versprochen.«
    Sie
blickte mich noch eine Sekunde länger an, dann nickte sie und senkte den Kopf
wieder über den kleinen Tisch. »Ist er im Himmel?«
    »Ja«,
sagte ich. Selbst mein spezielles Holly-Gewissen hat Grenzen. Persönlich halte
ich Religion für ausgemachten Schwachsinn, aber wenn eine schluchzende
Fünfjährige von dir wissen will, was mit ihrem Hamster passiert ist, glaubst du
plötzlich an alles, was das Herzeleid in ihrem Gesicht ein wenig lindert.
»Ganz bestimmt. Er ist jetzt da oben, sitzt an einem Strand, der eine Million
Meilen lang ist, trinkt ein Guinness so groß wie eine Badewanne und flirtet
mit einem hübschen Mädchen.«
    Sie gab
einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Kichern, einem Schniefen und
einem Schluchzer lag. »Daddy, nein, ich mach
keine Witze!«
    »Ich auch
nicht. Und ich wette, er winkt dir jetzt zu und sagt, du sollst nicht weinen.«
    Ihre
Stimme zitterte stärker. »Ich will nicht, dass er tot ist.«
    »Ich weiß,
Kleines. Ich auch nicht.«
    »Conor
Mulvey hat mir in der Schule immer meine Schere weggenommen, früher, und Onkel
Kevin hat gesagt, wenn er das noch mal macht, soll ich sagen: >Du machst das
nur, weil du in mich verknallt bist<, und dann würde er ganz rot werden und
aufhören, mich zu ärgern, und das hab ich gemacht, und es hat geklappt.«
    »Das war
gut von deinem Onkel Kevin. Hast du's ihm erzählt?«
    »Ja. Er
hat gelacht. Daddy, das ist nicht fair.«
    Sie stand
kurz vor einem weiteren gewaltigen Dammbruch von Tränen. »Es ist total unfair,
Liebes. Ich wünschte, ich könnte irgendwas sagen, um es besser zu machen, aber
mir fällt nichts ein. Manchmal passieren einfach ganz, ganz schlimme Dinge, und
du kannst nichts dagegen tun.«
    »Mum sagt,
wenn ich eine Weile warte, kann ich an ihn denken, und es macht mich nicht mehr
traurig.«
    »Deine
Mummy hat meistens recht«, sagte ich. »Hoffen wir, dass sie diesmal auch recht
hat.«
    »Einmal
hat Onkel Kevin gesagt, ich wäre seine Lieblingsnichte, weil du mal sein
Lieblingsbruder warst.«
    O Gott.
Ich streckte einen Arm aus, um ihn um ihre Schultern zu legen, doch sie rückte
weg und wienerte noch fester an dem Tisch, drückte mit einem Fingernagel das
Papier in winzige Holzwindungen. »Bist du böse, weil ich zu Nana und Granddad
gegangen bin?«
    »Nein,
Häschen. Nicht auf dich.«
    »Auf Mum?«
    »Nur ein
kleines bisschen. Wir vertragen uns schon wieder.«
    Hollys
Augen huschten zu mir rüber, nur ganz kurz. »Schreit ihr euch wieder an?«
    Ich bin
mit einer Mutter aufgewachsen, die den schwarzen Gürtel im Wecken von
Schuldgefühlen hat, aber selbst in Hochform ist sie nichts im Vergleich zu dem,
was Holly schafft, ohne es nur zu wollen. »Wir schreien uns nicht an«, sagte
ich. »Ich ärgere mich nur ein bisschen darüber, dass keiner mir was gesagt
hat.«
    Schweigen.
    »Weißt du
noch, wie wir mal über Geheimnisse gesprochen haben?«
    »Ja.«
    »Weißt du
noch, dass wir gesagt haben, es ist in Ordnung, wenn du mit deinen Freundinnen
gute Geheimnisse hast, aber wenn dich irgendwas beunruhigt, dass das dann ein
schlechtes Geheimnis ist? Eins, worüber du mit mir oder deiner Mummy reden
musst?«
    »Es war
nicht schlecht. Es sind doch meine Großeltern.«
    »Ich weiß,
Schätzchen. Ich will dir damit bloß sagen, dass es noch eine Art von Geheimnis
gibt. Ein Geheimnis, das auch nicht unbedingt schlecht sein muss, aber trotzdem
hat ein anderer ein Recht darauf, es zu erfahren.« Ihr Kopf war noch immer
gesenkt, und sie schob trotzig das Kinn vor. »Sagen wir, deine Mummy und ich
beschließen, nach Australien zu ziehen. Sollen wir dir das dann erzählen? Oder
sollen wir dich einfach mitten in der Nacht in ein Flugzeug verfrachten?«
Achselzucken. »Mir erzählen.«
    »Weil dich
das auch was angeht. Du hättest ein Recht darauf, es zu erfahren.«
    »Ja.«
    »Als du
anfingst, meine Familie zu besuchen, ist mich das auch was angegangen. Es war
falsch, das vor mir geheim zu halten.«
    Sie wirkte
nicht überzeugt. »Wenn ich es dir erzählt hätte, wärst du bestimmt böse
geworden.«
    »Jetzt bin
ich sehr viel böser, als ich es gewesen wäre, wenn es mir gleich jemand erzählt
hätte. Holly, Kleines, es ist immer besser, mir etwas frühzeitig zu

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