French, Tana
nach Hause? Die Stufen sind
wackelig, der Teppich zerschlissen ... Früher oder später muss er einfach
stolpern und kopfüber die Treppe runterfallen. Schon
allein davon, dass meine Stimme es laut aussprach, schlug mir das Herz bis zum
Hals.
Shay trank
einen kräftigen Schluck, tief in Gedanken, und wischte sich mit einem
Fingerknöchel den Mund ab. Der Sturz allein reicht vielleicht
nicht. Um ihn endgültig zu erledigen.
Vielleicht,
vielleicht auch nicht. Aber er wäre jedenfalls eine gute Erklärung für seinen
eingeschlagenen Schädel.
Shay
beobachtete mich mit einer Mischung aus Argwohn und, zum ersten Mal überhaupt,
Hochachtung. Warum erzählst du mir das?
Weil es
ein Zweimannjob ist.
Du meinst,
weil du dich allein nicht traust.
Er könnte sich
wehren, er könnte anders hingelegt werden müssen, irgendwer könnte aufwachen,
wir könnten Alibis brauchen ... Einer allein kann das kaum richtig hinkriegen.
Aber zu zweit...
Er hakte
einen Fuß um das Bein eines anderen Hockers und zog ihn näher ran. Setz dich.
Auf zehn Minuten mehr oder weniger kommt's wohl nicht an.
Ich bekam
mein Bier und wir saßen da, Ellbogen auf der Theke, trinkend, ohne uns
anzusehen. Nach einer Weile sagte Shay: Seit Jahren überlege ich hin und
her, wie ich da rauskomme.
Ich weiß.
Geht mir auch so.
Manchmal, sagte er, manchmal
denke ich, wenn ich keinen Ausweg finde, dreh ich vielleicht noch durch.
Das war
die ehrlichste Unterhaltung unter Brüdern, die wir je geführt hatten. Und sie
tat mir erschreckend gut. Ich sagte: Ich bin schon dabei durchzudrehen.
Ohne Wenn und Aber. Ich kann's spüren.
Er nickte
ohne jedes Erstaunen. Ja. Carmel auch.
Und an
manchen Tagen ist Jackie ganz komisch. Wenn er mal wieder besonders schlimm
war. Dann ist sie wie weggetreten.
Kevin hält
sich ganz gut.
Noch.
Soweit wir wissen.
Shay
sagte: Es wäre das Beste, das wir je für sie tun könnten. Nicht
bloß für uns.
Ich sagte: Ich würde sogar sagen, das Einzige. Nicht bloß das Beste. Das Einzige.
Endlich
trafen sich unsere Blicke. Der Pub war noch lauter geworden, irgendwer hob die
Stimme, um einen Witz zu landen, und die Ecke brach in lärmendes, dreckiges
Gelächter aus. Keiner von uns blinzelte. Shay sagte: Ich hab
schon früher mal drüber nachgedacht. Hin und wieder.
Ich denke
seit Jahren drüber nach. Denken ist leicht. Aber es zu tun ...
Stimmt.
Was völlig anderes. Es wäre ... Shay schüttelte den Kopf. Er hatte
weißliche Ringe um die Augen, und seine Nasenlöcher blähten sich bei jedem
Atemzug.
Ich sagte: Wären wir dazu fähig?
Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.
Wieder ein
langes Schweigen, während wir beide unsere liebsten Vater-Sohn-Momente Revue
passieren ließen. Ja, sagten wir beide gleichzeitig. Wären wir.
Shay hielt
mir eine Hand hin. Sein Gesicht war weiß und rot gefleckt. Okay, sagte er,
mit einem raschen Ausatmen. Okay. Ich hin dabei. Was ist mit
dir?
Ich bin dabei, sagte ich und schlug ein. Wir
machen's.
Wir
drückten beide so fest zu, als wollten wir uns gegenseitigverletzen. Ich
konnte spüren, wie dieser Moment anschwoll, um sich griff, in alle Ecken wogte.
Es war ein schwindelerregendes, schaurig-schönes Gefühl, als würdest du dir
irgendeine Droge spritzen, von der du weißt, dass sie dich lebenslang zum
Krüppel machen wird, aber das Highgefühl ist so gut, dass du nur den einen Wunsch
hast, sie dir noch tiefer in die Venen zu jagen.
Dieser
Sommer war die einzige Zeit in unserem Leben, in der Shay und ich freiwillig
die Nähe zueinander suchten. Alle paar Abende verzogen wir uns in ein nettes
ungestörtes Eckchen im Blackbird und unterhielten
uns. Wir drehten und wendeten den Plan, um ihn aus jedem Blickwinkel unter die
Lupe zu nehmen, feilten daran herum, verwarfen alles, was nicht funktionieren
würde, und fingen wieder von vorn an. Wir konnten uns nach wie vor nicht
ausstehen, aber das spielte plötzlich keine Rolle mehr.
Shay
verbrachte Abend für Abend damit, sich an Nuala Mangan von der Copper Lane
ranzumachen: Nuala war grottenhässlich und strohdumm, aber ihre Mutter hatte
einen wunderschön glasigen Blick, und nach ein paar Wochen lud Nuala Shay
endlich nach Hause zum Tee ein, und er konnte eine ordentliche Handvoll Valium
aus dem Badezimmerschränkchen mitgehen lassen. Ich wälzte in der Bibliothek des
Ilac Centre stundenlang medizinische Fachbücher, um herauszufinden, wie viel
Valium man einer zweihundert Pfund schweren Frau oder einem siebenjährigen Kind
einflößen musste,
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