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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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hattest von Anfang an
recht«, sagte ich. »Ich glaube, wenn's drauf ankommt, bin ich wohl ein Bulle.«
    Er nickte,
ohne die Augen zu öffnen. Wir saßen beide schweigend da, lauschten auf den
Atemrhythmus des anderen und auf diese schwache, schwer bestimmbare Musik von
irgendwoher, beugten uns nur hin und wieder vor, um Asche abzuschnippen. Es
war beinahe friedlich, friedlicher, als wir je zusammen gewesen waren. Als die
Klingel gellte, kam es mir fast wie eine ungewollte Störung vor.
    Ich
beeilte mich, Stephen die Tür zu öffnen, ehe irgendwer ihn draußen bemerkte. Er
rannte die Treppe so leichtfüßig hinauf, wie Holly sie hinuntergerannt war. Der
Strom von Stimmen aus Mas Wohnung blieb unverändert. Ich sagte: »Shay, darf ich
vorstellen, Detective Stephen Moran. Detective, das ist mein Bruder, Seamus
Mackey.«
    Die Miene
des Jungen verriet, dass er schon selbst darauf gekommen war. Shay betrachtete
Stephen ohne irgendeinen Ausdruck in den verquollenen Augen, keine Neugier,
nichts, nur eine Art destillierte Erschöpfung, bei deren Anblick ich Mühe
hatte, mein Rückgrat gerade zu halten.
    »Wie Sie
sehen«, sagte ich, »hatten wir eine kleine Meinungsverschiedenheit. Sie
sollten ihn vielleicht auf eine Gehirnerschütterung untersuchen lassen. Ich
habe das alles fürs Protokoll dokumentiert, falls Sie Fotos benötigen.«
    Stephen
musterte Shay sorgfältig von Kopf bis Fuß, ohne einen Zentimeter auszulassen.
»Könnte sein, ja. Danke. Möchten Sie die da jetzt gleich zurückhaben? Ich
könnte ihm meine anlegen.«
    Er zeigte
auf meine Handschellen. Ich sagte: »Ich hab nicht vor, heute Abend noch
jemanden zu verhaften. Die können Sie mir bei Gelegenheit zurückgeben. Er
gehört Ihnen, Detective. Er ist noch nicht über seine Rechte aufgeklärt worden;
das wollte ich Ihnen überlassen. Übrigens, Sie sollten sich streng an die
Vorschriften halten. Er ist cleverer, als er aussieht.«
    Stephen
versuchte, sich möglichst feinfühlig auszudrücken: »Was sollen wir ...? Ich
meine ... Sie wissen schon. Hinreichender Verdacht für eine Festnahme ohne
Haftbefehl.«
    »Ich
könnte mir vorstellen, dass diese Geschichte ein glücklicheres Ende nimmt,
wenn ich unsere komplette Beweisführung nicht gerade in Anwesenheit des
Verdächtigen erläutere. Aber glauben Sie mir, Detective, das hier ist kein Fall
von außer Rand und Band geratener Geschwisterrivalität. Ich rufe Sie in etwa
einer Stunde an und informiere Sie ausführlich. Bis dahin sollte das genügen:
Vor einer halben Stunde hat er mir gegenüber beide Morde in vollem Umfang gestanden,
einschließlich fundierter Angaben zu den Motiven sowie Einzelheiten über die
Todesarten, die nur der Täter wissen kann. Er wird alles abstreiten bis zum
Sankt Nimmerleinstag, aber zum Glück hab ich noch jede Menge anderer
Köstlichkeiten für Sie auf Lager; das war nur ein Vorgeschmack. Meinen Sie, das
reicht Ihnen vorläufig?«
    Stephens
Gesicht besagte, dass er hinsichtlich des Geständnisses so seine Zweifel
hegte, aber dass er auch klug genug war, gar nicht erst davon anzufangen. »Das
ist mehr als genug. Danke, Detective.«
    Unten
schrie Ma: »Seamus! Francis! Ich schwöre, wenn mir das Essen anbrennt, versohle
ich euch beiden den Hintern!«
    Ich sagte:
»Ich muss los. Tut mir einen Gefallen und bleibt noch einen Moment hier. Meine
kleine Tochter ist unten, und mir wäre lieber, wenn sie von der Sache hier
nichts mitkriegt. Wartet, bis ich mit ihr weg bin, okay?«
    Shay
nickte, ohne einen von uns beiden anzusehen.
    Stephen
sagte: »Kein Problem. Wir machen es uns gemütlich, ja?« Er nickte Richtung
Sofa und streckte Shay die Hand hin, um ihm auf die Beine zu helfen. Nach einer
Sekunde ergriff Shay sie.
    Ich sagte:
»Viel Glück.« Ich schloss meine Jacke über dem Blut auf meinem Hemd und
schnappte mir von einem Haken eine schwarze Baseballmütze - »M. Conaghy
Bicycles« -, um meine Kopfwunde zu verbergen. Dann ging ich.
    Das
Letzte, was ich über Stephens Schulter hinweg sah, waren Shays Augen. Noch nie
hatte mich jemand so angesehen, nicht Liv, nicht Rosie. Es war, als könnte er
in meine tiefste Seele schauen, mühelos und ohne dass dabei ein einziger Winkel
unentdeckt oder eine einzige Frage unbeantwortet blieb. Er sagte kein Wort.
     
    22
     
    ma hatte alle vom Fernseher weggelotst und die weihnachtliche
Postkartenidylle wieder auf Vordermann gebracht: Die Küche war voller Frauen
und Dampf und Stimmen, die Männer wurden mit Topflappen und Tellern hin und

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