French, Tana
»Na, meinetwegen. Zehn Minuten kann ich noch warten. Aber
wenn ihr dann nicht unten seid -«
»Danke,
Mammy. Ehrlich. Du bist spitze.«
»Klar bin
ich das, wenn er was will, bin ich spitze, aber ansonsten ...« Ihre Stimme
verklang weitergrummelnd in der Wohnung.
Ich
schloss die Tür, legte für alle Fälle noch den Riegel vor, nahm mein Handy und
machte Fotos von unseren Gesichtern aus verschiedenen künstlerischen
Blickwinkeln. Shay fragte: »Zufrieden mit deiner Arbeit?«
»Ist
wunderschön geworden. Und eins muss ich dir lassen, deine ist auch ganz
ordentlich. Aber die Bilder sind nicht für mein Familienalbum. Nur für den
Fall, dass du anfängst, über Polizeibrutalität zu meckern, und irgendwann noch
versuchst, den festnehmenden Beamten in den Dreck zu ziehen. Bitte schön
lächeln.« Er warf mir einen Blick zu, der einem Nashorn auf zehn Meter
Entfernung die Haut weggeätzt hätte.
Sobald ich
das Wesentliche bildlich protokolliert hatte, ging ich in die Küche - klein,
spartanisch, blitzsauber und deprimierend — und befeuchtete einen Waschlappen,
um uns beide damit wieder einigermaßen präsentabel zu machen. Shay drehte jäh
den Kopf weg, als ich mich ihm damit näherte. »Von wegen. Deine Kollegen sollen
ruhig sehen, was du gemacht hast, wenn du schon so stolz drauf bist.«
Ich sagte:
»Offen gestanden, mein Lieber, sind mir meine Kollegen völlig egal. Aber in ein
paar Minuten marschierst du diese Treppe runter und die Straße hoch, und ich
dachte, es muss ja nicht unbedingt gleich die ganze Nachbarschaft mitkriegen,
was hier los ist. Ich versuche bloß, den Lästermäulern möglichst wenig Stoff zu
liefern. Aber wenn das nicht dein Stil ist, bitte schön, ein Wort von dir, und
ich hau dir noch ein paar in die Fresse, ohne Aufpreis.«
Shay
erwiderte nichts darauf, machte aber den Mund zu und hielt still, während ich
ihm das Blut vom Gesicht wischte. Es war ganz leise in der Wohnung, nur von
irgendwoher drangen schwach Musikfetzen herüber, die mir vage bekannt vorkamen,
und der Wind strich rastlos über uns ums Dach. Ich konnte mich nicht erinnern,
Shay je aus solcher Nähe betrachtet zu haben, so nah, dass ich all die
Einzelheiten registrieren konnte, die nur Eltern und Geliebte je wahrnehmen:
den klaren, verwegenen Schwung der Knochen unter seiner Haut, den bläulichen
Bartschatten, die komplizierten Muster, die seine Augenfältchen warfen, und wie
dicht seine Wimpern waren. Das Blut auf seinem Kinn und rings um den Mund war
inzwischen dunkel verkrustet. Einen kurzen seltsamen Moment lang ertappte ich
mich dabei, dass ich fast zärtlich vorging.
An den
Blutergüssen um die Augen und der Schwellung an seinem Kiefer konnte ich nicht
viel ändern, aber als ich fertig war, sah er zumindest wieder halbwegs
salonfähig aus. Ich faltete den Spüllappen neu und fing an, mein eigenes
Gesicht zu säubern. »Geht das so?«
Er sah
mich kaum an. »Siehst prima aus.«
»Wenn du
das sagst. Wie gesagt, mir ist egal, was die Nachbarschaft zu sehen kriegt.«
Daraufhin
sah er genauer hin. Nach einem Moment deutete er fast widerwillig auf seinen
Mundwinkel. »Da noch.«
Ich
wischte mir erneut über die Wange und hob fragend eine Augenbraue. Er nickte.
»Okay.«
Der Lappen war jetzt voller Blutflecken, die hellrot erblühten, wo das Wasser
sie wiederbelebt hatte, und die Falten durchtränkten. Allmählich bekam ich es
auch von den Händen ab. »Okay. Warte mal kurz.«
»Was
bleibt mir anderes übrig?«
Ich wusch
den Lappen ein paarmal in der Küchenspüle aus, warf ihn anschließend in den
Mülleimer, wo die Spurensicherung ihn finden würde, und schrubbte mir
energisch die Hände. Dann ging ich zurück ins Wohnzimmer. Der Aschenbecher
stand zwischen verstreuter grauer Asche unter einem Stuhl, meine Zigaretten
lagen in einer Ecke, und Shay war da, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Ich
setzte mich ihm gegenüber auf den Boden, als wären wir zwei Teenager auf einer
Party, und stellte den Aschenbecher zwischen uns. Ich zündete zwei Zigaretten
an und schob ihm eine zwischen die Lippen.
Shay
inhalierte tief, schloss die Augen und ließ den Kopf nach hinten gegen das Sofa
fallen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand. Nach einer Weile fragte er:
»Warum hast du mich nicht erschossen?«
»Was
dagegen?«
»Sei nicht
so bescheuert. Ich würd's gern wissen.«
Ich löste
mich von der Wand - es war mühsam, meine Muskeln waren arg verkrampft - und
streckte die Hand über den Aschenbecher. »Ich glaube, du
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