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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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erzielen
lässt. Ich habe nie gesehen, dass mein Dad und Mr Daly auch nur zwei Worte
gewechselt hätten. Die einzige Form von Kommunikation zwischen ihnen, wenn man
das so nennen wollte - und dabei war ich mir nicht sicher, inwiefern das mit
Jobfragen oder Geburtsneid zu tun hatte -, ergab sich ein- oder zweimal im
Jahr, wenn Dad noch ein bisschen besoffener als sonst aus der Kneipe kam und
schnurstracks an unserem Haus vorbei auf Nummer 3 zutorkelte. Dann stand er
schwankend auf der Straße, trat gegen das Geländer und brüllte, Matt Daly
solle rauskommen und sich mit ihm schlagen wie ein Mann, bis Ma und Shay -
oder, wenn Ma an dem Abend Büros putzen war, Carmel und Shay und ich - nach draußen
gingen und ihn überredeten, reinzukommen. Man konnte förmlich spüren, wie die
ganze Straße lauschte und tuschelte und sich klammheimlich freute, doch die
Dalys öffneten niemals ein Fenster, machten niemals Licht an. Der schwierigste
Teil war der, Dad die gewundene Treppe hoch in die Wohnung zu bugsieren.
    »Sobald
wir drin sind«, sagte ich zu Kevin, als wir durch den Regen gehastet waren und
er an die Tür von Nummer 3 klopfte, »übernimmst du das Reden.«
    Er
erschrak. »Ich? Wieso ich?«
    »Tu mir
den Gefallen. Erzähl ihnen einfach, wie das Ding hier aufgetaucht ist. Ab da
übernehme ich.«
    Er wirkte
nicht glücklich darüber, aber unser Kev war schon immer konfliktscheu, und ehe
er sich eine nette Art einfallen lassen konnte, mir zu sagen, ich solle meine
Drecksarbeit selber machen, ging die Tür auf, und Mrs Daly schaute uns an.
    »Kevin«,
sagte sie. »Wie geh-«, und dann erkannte sie mich. Ihre Augen wurden rund, und
sie gab ein Geräusch von sich, das wie Schluckaufklang.
    Ich sagte
sanft: »Mrs Daly, entschuldigen Sie die Störung. Könnten wir kurz reinkommen?«
    Sie hatte
eine Hand an die Brust gelegt. Kev hatte recht gehabt mit den Fingernägeln.
»Ich glaub nicht ...«
    Jeder
Bulle weiß, wie er an jemandem, der sich nicht sicher ist, vorbei und durch die
Tür kommt. »Ich möchte nicht, dass das hier im Regen länger nass wird«, sagte
ich und schob den Koffer um sie herum. »Ich glaube, Sie und Mr Daly sollten
sich das ansehen.«
    Kevin
folgte mir mit beklommener Miene. Mrs Daly schrie »Matt!« die Treppe hoch, ohne
uns aus den Augen zu lassen.
    »Ma?« Nora
kam aus dem Wohnzimmer, richtig erwachsen und in einem Kleid, das keinen
Zweifel daran ließ. »Wer — Das gibt's nicht. Francis?«
    »Höchstpersönlich.
Tag, Nora.«
    »Großer
Gott«, sagte Nora. Dann glitten ihre Augen über meine Schulter, zur Treppe.
    Ich hatte
Mr Daly als Schwarzenegger mit Strickjacke in Erinnerung, aber er war eher
klein, ein drahtiger, kerzengerader Mann mit Bürstenhaarschnitt und trotzigem
Kinn. Es schob sich noch weiter vor, während er mich musterte, in aller Ruhe.
Dann sagte er zu mir: »Wir haben dir nichts zu sagen.«
    Ich
schielte zu Kevin hinüber. »Mr Daly«, sagte er schnell, »wir müssen Ihnen
wirklich unbedingt etwas zeigen.«
    »Du kannst uns
zeigen, was du willst. Aber dein Bruder verschwindet aus meinem Haus.«
    »Ja, ich
weiß, und er wäre auch nicht gekommen, aber wir hatten keine andere Wahl,
Ehrenwort. Es ist wichtig. Könnten wir nicht ...? Bitte?«
    Er war
perfekt, trat auf der Stelle und schob sich die vollen Haare aus der Stirn,
ganz verlegen und linkisch und beschwörend; ihn vor die Tür zu setzen wäre so
gewesen, als würde man einen großen flauschigen Labrador treten. Kein Wunder,
dass der Junge als Verkäufer arbeitete. »Wir würden Sie wirklich nicht
behelligen«, fügte er unterwürfig hinzu, um noch einen draufzusetzen, »bloß,
wir sehen keine andere Möglichkeit. Nur fünf Minuten?«
    Nach einem
Augenblick nickte Mr Daly steif, widerwillig. Ich hätte viel Geld für eine
aufblasbare Kevin-Puppe bezahlt, die ich immer hinten in meinem Wagen mitnehmen
und in Notfällen hervorholen könnte.
    Sie
führten uns ins Wohnzimmer, das nicht so vollgestellt war wie Mas und heller:
schlichter beigefarbener Teppichboden, cremefarbener Anstrich statt Tapeten,
an der Wand ein Foto von Johannes Paul II. und ein gerahmtes altes Gewerkschaftsplakat,
keine Zierdeckchen oder Gips-Enten in Sicht. Selbst als wir alle Kinder waren
und in den Häusern der anderen ganz selbstverständlich aus- und eingingen,
hatte ich nie einen Fuß in dieses Zimmer gesetzt. Lange Zeit hatte ich mir
gewünscht, hierher eingeladen zu werden, so wie man sich etwas heiß und innig
wünscht, nachdem einem gesagt worden

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