Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
Vom Netzwerk:
aber das war alles.
    Kevin, der
sich allmählich entspannte, warf mir einen Blick zu, um zu sehen, ob er seine
Sache gut gemacht hatte. Ich legte Rosies Paisley-Bluse wieder zusammengefaltet
in den Koffer und klappte den Deckel zu. Eine Sekunde lang herrschte absolute
Stille.
    Dann sagte
Mrs Daly atemlos: »Aber wie kommt der in Nummer sechzehn? Rosie hat ihn doch
mit nach England genommen.«
    Die
Gewissheit in ihrer Stimme brachte mein Herz ins Stolpern. Ich fragte: »Woher
wissen Sie das?«
    Sie
starrte mich an. »Er war weg, nachdem sie gegangen war.«
    »Woher
wissen Sie so genau, dass sie nach England gegangen ist?«
    »Sie hat
uns doch einen Brief hinterlassen. Zum Abschied. Die Shaughnessy-Jungs und der
Kleine von Sallie Hearne haben ihn uns am nächsten Tag gebracht. Sie hatten
ihn in Nummer sechzehn gefunden. Da stand klipp und klar drin, dass sie nach
England wollte. Zuerst dachten wir, ihr zwei ...« Mr Daly bewegte sich, ein
heftiger, wütender kurzer Ruck. Mrs Daly blinzelte schnell und verstummte.
    Ich tat
so, als hätte ich nichts bemerkt. »Ich glaube, das dachten alle, ja«, sagte ich
leichthin. »Wann haben Sie erfahren, dass wir nicht zusammen waren?«
    Als
niemand anderes antwortete, sagte Nora: »Ist ewig her. Fünfzehn Jahre
vielleicht, jedenfalls vor meiner Heirat. Ich hab Jackie eines Tages beim Einkaufen
getroffen, und sie hat gesagt, sie hätte wieder Kontakt zu dir, und du wärst
hier in Dublin. Sie hat gesagt, Rosie wäre ohne dich rübergefahren.« Ihre Augen
glitten von mir zu dem Koffer und wieder zurück, weiteten sich rasch. »Glaubst
du ... Was glaubst du, wo sie ist?«
    »Ich
glaube noch gar nichts«, sagte ich mit meiner freundlichsten Polizistenstimme,
als ginge es um irgendein verschwundenes Mädchen. »Solange wir nicht ein wenig
mehr wissen. Habt ihr je irgendwas von ihr gehört, seit sie weg ist? Hat sie
mal angerufen, geschrieben, ist ihr irgendwer irgendwo über den Weg gelaufen?«
    Mrs Daly
sagte in einem einzigen beeindruckenden Wortschwall: »Wir hatten doch noch gar
kein Telefon, als sie ging, wie hätte sie uns da anrufen sollen? Als wir Telefon
kriegten, hab ich die Nummer aufgeschrieben und bin zu deiner Mammy und zu
Jackie und Carmel, und ich hab zu ihnen gesagt, ich hab gesagt, kommt mal her,
wenn ihr irgendwas von eurem Francis hört, dann gebt ihm die Nummer und sagt
ihm, er soll Rosie sagen, sie soll uns anrufen, auch wenn nur mal ganz kurz zu
Weihnachten oder - Aber dann, als ich gehört hab, dass sie nicht bei dir ist,
da wusste ich, dass sie nicht anrufen würde, weil sie ja die Nummer gar nicht
gekriegt hat, nicht? Sie hätte schreiben können, klar, aber Rosie hat sich für
alles immer die Zeit genommen, die sie gebraucht hat. Aber im Februar werd ich
fünfundsechzig, und da schickt sie bestimmt eine Karte, das vergisst sie
bestimmt nicht -«
    Ihre
Stimme wurde höher und schneller, nahm einen brüchigen Klang an. Mr Daly
streckte eine Hand aus und schloss sie kurz um die seiner Frau, und sie biss
sich auf die Lippen. Kevin sah aus, als versuchte er, zwischen den Sofakissen
zu verschwinden.
    Nora sagte
leise: »Nein. Nicht ein Wort. Zuerst haben wir bloß gedacht ...« Sie sah rasch
ihren Vater an: Sie hatte gedacht, Rosie wäre davon ausgegangen, ihre Familie
wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, weil sie mit mir durchgebrannt war.
»Selbst als wir gehört haben, dass du nicht mit ihr zusammen warst. Wir haben
immer gedacht, sie wäre in England.«
    Mrs Daly
legte den Kopf zurück und wischte sich eine Träne ab.
    Das war's
dann wohl: kein rascher Abgang, kein Winkewinke, mach's gut, Familie, um dann
den gestrigen Abend aus dem Gedächtnis zu tilgen und wieder zu meiner
persönlichen Version der Normalität zurückzukehren, und keine Chance, Nora
ordentlich abzufüllen, um ihr Rosies Telefonnummer zu entlocken. Mr Daly sagte
gewichtig und ohne einen von uns anzusehen: »Wir müssen die Polizei
verständigen.«
    Ich tat
wenig, um meinen skeptischen Blick zu verbergen. »Klar. Das könnten Sie, ja.
Das war auch der erste Impuls meiner Familie, aber ich fand, Sie sollten
selbst entscheiden, ob Sie den Schritt wirklich machen wollen.«
    Er starrte
mich misstrauisch an. »Wieso denn nicht?«
    Ich
seufzte und fuhr mir mit einer Hand durchs Haar. »Wissen Sie«, sagte ich, »ich
würde Ihnen gern erzählen, dass die Kollegen der Sache die Aufmerksamkeit
widmen werden, die sie verdient hat, aber das kann ich nicht. Im Normalfall
müsste der Koffer als Erstes

Weitere Kostenlose Bücher