French, Tana
nach Fingerabdrücken und Blutspuren untersucht
werden« - Mrs Daly machte ein schreckliches fiependes Geräusch in ihre Hände
hinein -, »doch dazu müsste die Sache erst eine Fallnummer bekommen und einem
Detective zugeteilt werden, und der Detective müsste die Tests in Auftrag
geben. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dazu wird es nicht kommen. Niemand
wird wertvolle Arbeitszeit in etwas stecken, was vielleicht nicht mal eine
Straftat ist. Die Vermisstenabteilung und die für ungeklärte Fälle werden die
Sache ein paar Monate zwischen sich hin und her schieben, bis alle aus
Langeweile aufgeben und sie irgendwo im Keller ad acta legen. Darauf müssen Sie
gefasst sein.«
Nora
fragte: »Aber was ist mit dir? Könntest du die Untersuchung nicht
veranlassen?«
Ich
schüttelte kläglich den Kopf. »Nicht offiziell, nein. Ganz gleich, wie
großzügig man es auch auslegt, die Sache fällt eindeutig nicht in den
Zuständigkeitsbereich meines Dezernats. Sobald die Polizei offiziell eingeschaltet
wird, sind mir die Hände gebunden.«
»Aber«,
sagte Nora. Sie setzte sich auf, hellwach, und sah mich an. »Wenn die Polizei
nicht offiziell eingeschaltet wird, na ja, wenn nur du dich drum kümmern
würdest. Könntest du ... besteht da keine Möglichkeit, dass ... ?«
»Dass ich
ein paar Leute um einen Gefallen bitte, still und leise?« Ich zog die
Augenbrauen hoch, dachte gründlich darüber nach. »Na ja. Möglich wär's schon.
Ihr müsstet euch aber alle sicher sein, dass ihr das wirklich wollt.«
»Ich will
es«, sagte Nora prompt. Entscheidungsfreudig, genau wie Rosie. »Wenn du das
für uns tun würdest, Francis, wenn das ginge. Bitte.«
Mrs Daly
nickte, fischte ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und putzte sich die Nase.
»Könnte sie nicht doch in England sein? Vielleicht?«
Sie flehte
mich an. Der Ton ihrer Stimme tat weh. Kevin zuckte zusammen. »Doch«, sagte ich
sanft, »ja. Wenn Sie mir die Sache anvertrauen wollen, könnte ich versuchen,
auch das zu überprüfen.«
»O
Gott«, sagte Mrs Daly leise. »O Gott ...«
Ich fragte:
»Mr Daly?«
Langes
Schweigen trat ein. Mr Daly saß da, die Hände zwischen den Knien gefaltet, und
starrte auf den Koffer, als hätte er mich nicht gehört.
Schließlich
sagte er: »Ich kann dich nicht leiden. Dich nicht und auch nicht deine Familie.
Ich will dir da nichts vormachen.«
»Ja«,
sagte ich. »Das hab ich gemerkt, immer schon. Aber ich bin nicht als einer von
den Mackeys hier. Ich bin als Polizeibeamter hier, der Ihnen vielleicht helfen
kann, Ihre Tochter zu finden.«
»Still und
leise, klammheimlich, durch die Hintertür. Die Menschen ändern sich nicht.«
»Sieht
ganz so aus«, sagte ich und lächelte ihn höflich an. »Aber die Umstände ändern
sich. Diesmal stehen wir auf derselben Seite.«
»Ach ja?«
»Das
sollten Sie lieber hoffen«, sagte ich, »weil ich das Beste bin, was Sie kriegen
können. Nehmen Sie's oder lassen Sie's bleiben.«
Da hob er
den Blick und sah mir in die Augen, lange und durchdringend. Ich hielt mich
kerzengerade und setzte mein seriöses Elternabend-Gesicht auf. Schließlich
nickte er, ein jäher Ruck, und sagte, nicht unbedingt liebenswürdig: »Tu's.
Was du kannst. Bitte.«
»Gut«,
sagte ich und holte mein Notizbuch hervor. »Erzählen Sie mir zunächst einmal
von dem Tag, als Rosie wegging. Von Anfang an. So genau wie möglich. Bitte.«
Sie
kannten alles auswendig, genau wie jede Familie, die ein Kind verloren hat -
eine Mutter hat mir mal gezeigt, aus welchem Glas ihr Sohn morgens getrunken
hatte, bevor er eine Überdosis nahm. Ein Sonntagmorgen im Advent, kalt, mit einem
grauweißen Himmel und Atem, der wie Nebel in der Luft hing. Rosie war am
Vorabend früh nach Hause gekommen, daher war sie mit dem Rest der Familie
schon um neun zur Messe gegangen, statt länger zu schlafen und die Messe um
zwölf zu besuchen, so wie sonst, wenn sie samstags noch spät unterwegs gewesen
war. Nach der Kirche hatten sie gefrühstückt - wer damals vor der Heiligen
Kommunion etwas aß, wurde bei der nächsten Beichte zu einer ordentlichen Reihe
»Gegrüßet seist du, Maria« verdonnert. Rosie hatte die Wäsche aus dem Garten reingeholt
und gebügelt, während ihre Mutter den Abwasch machte, und dann hatten die
beiden besprochen, wann sie den Schinken fürs Weihnachtsessen kaufen sollten.
Es verschlug mir für eine Sekunde den Atem, als ich mir vorstellte, wie sie
seelenruhig über eine Mahlzeit sprach, bei der sie gar nicht mehr dabei wäre,
und
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