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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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von einem Weihnachtsfest träumte, das sie nur mit mir feiern würde. Kurz
vor Mittag waren die Mädchen rüber zur New Street gegangen, um Nana Daly zum
Sonntagslunch abzuholen, und danach hatten sie alle zusammen ein wenig
ferngesehen - auch dadurch waren die Dalys was Besseres als wir Proleten: Sie
hatten einen eigenen Fernseher. Selbst in dieser Form macht Snobismus Spaß. Ich
entdeckte feine Nuancen wieder, die ich schon fast vergessen glaubte.
    Der Rest
des Tages verging ähnlich ereignislos. Die Mädchen hatten ihre Großmutter nach
Hause gebracht, Nora hatte sich mit zwei Freundinnen getroffen, und Rosie war
auf ihr Zimmer gegangen, um zu lesen oder womöglich um zu packen oder den
Abschiedsbrief zu schreiben oder auf der Bettkante zu sitzen und lange tief
Luft zu holen. Abendessen, wieder Spülen, noch etwas Fernsehen, Nora bei den
Hausaufgaben helfen; rein gar nichts im Laufe des gesamten Tages hatte daraufhingedeutet,
dass Rosie irgendwas im Schilde führte. »Der reinste Engel«, sagte Mr Daly
düster. »Die ganze Woche war sie der reinste Engel. Das hätte mich stutzig
machen müssen.«
    Nora war
gegen halb zehn ins Bett gegangen, der Rest der Familie kurz nach elf- Rosie
und ihr Dad mussten am nächsten Morgen früh zur Arbeit. Das gemeinsame Zimmer
der beiden Mädchen lag nach hinten raus, in dem anderen schliefen ihre Eltern;
kein Ausziehsofa für die Dalys, vielen herzlichen Dank. Nora erinnerte sich an
das Rascheln, als Rosie sich den Pyjama anzog und »Nacht« flüsterte, bevor sie
sich ins Bett legte, und dann an nichts mehr. Sie hatte nicht gehört, wie Rosie
wieder aufstand, auch nicht, wie sie sich anzog und aus dem Zimmer schlich oder
aus der Wohnung. »Ich hab damals wie eine Tote geschlafen«, sagte sie trotzig,
als hätte sie sich deshalb schon jede Menge Vorwürfe anhören müssen. »Ich war
ein Teenager, du weißt doch, wie die sind ...« Am Morgen, als Mrs Daly die
Mädchen wecken wollte, war Rosie nicht da.
    Zunächst
hatten sie sich keine Sorgen gemacht, genauso wenig wie meine Eltern schräg
gegenüber — ich hörte heraus, dass Mr Daly ein bisschen über die rücksichtslose
moderne Jugend gemeckert hatte, aber das war's auch schon. Dublin in den
achtziger Jahren war absolut sicher. Sie dachten, Rosie wäre ganz früh aus dem
Haus, um irgendetwas zu erledigen, vielleicht um sich aus irgendeinem
mysteriösen Mädchengrund mit ihren Freundinnen zu treffen. Dann, als Rosie
auch zum Frühstück nicht zurück war, tauchten die Shaughnessy-Jungs und Barry
Hearne mit dem Brief auf.
    Es war
nicht klar, was die drei in aller Herrgottsfrühe an einem kalten Montagmorgen
in Nummer 16 getrieben hatten, aber ich hätte entweder auf Hasch oder
Pornohefte getippt - damals machten ein paar kostbare Magazine die Runde, die
der Vetter von irgendwem im Jahr zuvor aus England ins Land geschmuggelt hatte.
Wie auch immer, als der Brief auftauchte, brach die Hölle los. Die Darstellung
der Dalys fiel ein bisschen weniger anschaulich aus als die von Kevin - er warf
mir ein oder zweimal einen Seitenblick zu, während sie ihre Version erzählten
—, war aber im Großen und Ganzen gleich.
    Ich
deutete mit einem Nicken auf den Koffer. »Wo wurde der normalerweise
aufbewahrt?«
    »Im
Mädchenzimmer«, sagte Mrs Daly in ihre geballten Finger hinein. »Rosie hat
darin Kleidung und alte Spielsachen und so verstaut - damals hatten wir noch
keine Einbauschränke, keiner hatte welche ...«
    »Überlegen
Sie genau. Weiß noch einer, wann er ihn zuletzt gesehen hat?«
    Keiner
erinnerte sich. Nora sagte: »Vielleicht Monate vorher. Er stand unter ihrem
Bett. Ich hab ihn immer nur gesehen, wenn sie ihn hervorholte, um irgendwas
rauszunehmen.«
    »Was ist
mit den Sachen da drin, können Sie sich erinnern, wann Rosie zuletzt irgendwas
davon benutzt hat? Die Kassetten gehört, irgendwelche von diesen Klamotten
getragen hat?«
    Schweigen.
Plötzlich fuhr Nora hoch, und sie sagte mit einer Stimme, die sich einen Tick
hob: »Der Walkman. Den hab ich an dem Donnerstag gesehen, drei Tage bevor sie
verschwunden ist. Ich hab ihn nach der Schule aus ihrem Nachttischschränkchen
genommen und ihre Kassetten gehört, bis sie von der Arbeit kam. Wenn sie mich
dabei erwischt hat, hat sie mir immer eine gescheuert, aber das war's mir wert
- sie hatte tolle Musik ...«
    »Wieso
bist du dir so sicher, dass es an dem Donnerstag war?«
    »Weil ich
ihn mir immer donnerstags ausgeborgt hab. Donnerstags und freitags ging Rosie
zusammen mit

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