Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
Vom Netzwerk:
unmöglich
feststellen lässt, ob das Opfer die Kleidung am Körper trug oder ob sie mit ins
Grab gelegt wurde.«
    Ich
fragte: »War der Reißverschluss auf oder zu?«
    »Er war
geschlossen. Ebenso der BH-Verschluss. Was jedoch keine Beweiskraft hat - sie
könnte sich nach einer Vergewaltigung selbst wieder angezogen haben —, aber es
lässt wohl durchaus gewisse Schlüsse zu.«
    »Die
Fingernägel«, sagte ich. »Waren sie abgebrochen?« Rosie hätte sich gewehrt, mit
aller Kraft.
    Cooper
seufzte. Ich langweilte ihn allmählich, all diese Routinefragen, die Rocky
bereits gestellt hatte. Ich musste interessant werden oder verschwinden.
»Fingernägel«, sagte er mit einem verächtlichen kleinen Nicken auf ein paar
bräunliche Späne neben Rosies Handknochen, »verwesen. In diesem Fall sind sie
ebenso wie das Haar aufgrund der Alkalität des Bodens teilweise erhalten,
allerdings in stark zersetztem Zustand. Und da ich kein Hellseher bin, sehe ich
mich außerstande, Mutmaßungen über ihren Zustand vor der Zersetzung
anzustellen.«
    Ich sagte:
»Nur noch ein oder zwei Punkte, wenn es Ihre Zeit erlaubt, und dann bin ich
auch schon wieder weg. Wissen Sie, ob die Spurensicherung irgendetwas anderes
bei ihr gefunden hat, abgesehen von dem Kleidungszubehör? Schlüssel
vielleicht?«
    »Ich
könnte mir vorstellen«, sagte Cooper streng, »dass die Spurensicherung darüber
genauere Kenntnisse hat als ich.«
    Seine Hand
war an dem Schubfach, bereit, es zuzuschieben. Falls Rosie ihre Schlüssel bei
sich trug, entweder weil ihr Dad sie ihr zurückgegeben hatte oder weil sie sie
stibitzt hatte, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, in jener Nacht vorne zur
Haustür rauszugehen, und sie hatte sie nicht genutzt. Mir fiel nur ein Grund
dafür ein, nämlich dass sie doch vorgehabt hatte, mir aus dem Weg zu gehen.
    Ich sagte:
»Natürlich, ich weiß - das ist ja nun wirklich nicht Ihr Ressort, Doc -, aber
die meisten von denen sind ungefähr auf dem Niveau von dressierten Affen.
Denen würde ich nicht mal zutrauen, dass sie wüssten, um welchen Fall es geht,
von korrekten Auskünften mal ganz zu schweigen. Sie können sich vorstellen,
dass ich gerade in dieser Sache keine Lust auf so ein Glücksspiel habe.«
    Cooper zog
die Augenbrauen einen gequälten Millimeter hoch, als wisse er genau, was ich da
machte, und schere sich nicht drum. Er sagte: »Der vorläufige Bericht der
Spurensicherung führt zwei silberne Ringe und drei silberne Ohrstecker auf,
die allesamt von den Dalys unter Vorbehalt als Schmuckstücke identifiziert
wurden, wie sie im Besitz ihrer Tochter waren, sowie einen kleinen Schlüssel,
der von einem minderwertigen massenproduzierten Schloss stammt und offenbar zu
den Schlössern des Koffers passt, der zu einem früheren Zeitpunkt am Tatort
gefunden wurde. Ansonsten ist in dem Bericht keine Rede von weiteren
Schlüsseln, Accessoires oder sonstigen Habseligkeiten.«
    Und zack,
war ich wieder genau da, wo ich gewesen war, als ich den Koffer das erste Mal
zu Gesicht bekommen hatte: ratlos, in eine schwerelose Dunkelheit
hineinkatapultiert, ohne irgendetwas Greifbares, um mich dran festzuhalten.
Schlagartig wurde mir klar, zum allerersten Mal, dass ich die Wahrheit
vielleicht nie erfahren würde, dass das tatsächlich passieren könnte.
    Cooper
fragte: »War das alles?«
    Im
Obduktionssaal war es ganz still, bloß das Temperaturaggregat summte irgendwo
vor sich hin. Dass ich etwas bereue, kommt bei mir ebenso selten vor, wie dass
ich mich betrinke, aber dieses Wochenende war da eine Ausnahme. Ich blickte
auf die braunen Knochen, die nackt unter Coopers Neonlampen ausgebreitet lagen,
und ich wünschte mir aus tiefstem Herzen, dass ich einen Rückzieher gemacht
hätte, statt schlafende Mädchen zu wecken. Nicht um meinetwillen; um
ihretwillen. Jetzt gehörte sie jedem: Cooper, Rocky, Faithful Place, und jeder
konnte alles mit ihr machen, sie befingern und für seine Zwecke nutzen.
Bestimmt hatte Faithful Place schon begonnen, sie sich gemächlich und
genüsslich einzuverleiben und zu einer Schauerlegende zu verdauen, halb Gespenstergeschichte
und halb Moralstück, halb urbanes Märchen und halb Wie-das-Leben-so-spielt. Er
würde die Erinnerung an sie verschlingen, so wie seine Erde ihren Körper
verschlungen hatte. Da unten in dem Keller war sie besser dran gewesen.
Zumindest waren die Einzigen, die mit den Händen über die Erinnerung an sie
gestrichen hatten, die Menschen gewesen, die sie liebten. »Ja«, sagte ich.

Weitere Kostenlose Bücher