French, Tana
was ihm ein
routinierter Detective sagen würde. Der junge Stephen und ich würden wunderbar
miteinander klarkommen.
Ich
steckte Stephens Personalangaben in die Tasche, löschte die E-Mail und machte
in den nächsten zwei Stunden meine Fälle für Yeates wasserdicht. Ich wollte
keinesfalls, dass er mich im falschen Moment anrief, um noch irgendetwas abzuklären.
Die Übergabe ging schnell und problemlos über die Bühne - Yeates war klug
genug, mir jedes Mitleidsgetue zu ersparen, abgesehen von einem Schulterklopfen
und dem Versprechen, sich um alles zu kümmern. Dann packte ich meinen Kram
zusammen, schloss meine Bürotür und fuhr zur Dubliner Burg, wo das Morddezernat
untergebracht ist, um mir Stephen Moran zur Brust zu nehmen.
Wenn ein
anderer die Ermittlungen geleitet hätte, wäre Stephen vielleicht schwerer zu
finden gewesen. Er hätte um sechs oder sieben oder acht Schluss machen können,
und wenn er unterwegs im Einsatz gewesen wäre, hätte er womöglich direkt den
Nachhauseweg angetreten, ohne noch extra ins Büro zu fahren und seine
Rechercheergebnisse abzugeben. Aber ich kenne Rocky. Überstunden lösen bei
Vorgesetzten Herzklabaster aus, und Papierkram verschafft ihnen Orgasmen, daher
war ich sicher, dass Rockys Jungs und Mädels um Punkt fünf Feierabend machen
würden und vorher noch sämtliche Formulare ordnungsgemäß ausgefüllt hätten.
Ich suchte mir eine Bank im Park der Burg, die einen guten Blick auf die Tür
und einen hübschen Anti-Rocky-Sichtschutz aus Büschen bot, zündete mir eine
Zigarette an und wartete. Es regnete nicht einmal. Heute war wirklich mein
Glückstag.
Vor allem
eine Sache wollte mir nicht mehr aus dem Kopf: Kevin hatte keine Taschenlampe
dabeigehabt. Falls doch, hätte Rocky das erwähnt, um seine kleine
Selbstmordtheorie zu untermauern. Und Kevin hatte sich nie auf irgendetwas
Gefährliches eingelassen, es sei denn, er hatte einen verdammt guten Grund.
Riskante Spielchen aus Spaß an der Freude überließ er lieber mir und Shay.
Sämtliche Dosen Guinness in ganz Dublin hätten nicht ausgereicht, um ihn auf
den Gedanken zu bringen, es könnte lustig sein, in Nummer 16 herumzuspazieren,
ganz allein und im Stockdunkeln, nur so aus Jux und Dollerei. Entweder er hatte
im Vorbeigehen irgendetwas gesehen oder gehört, das ihn hatte glauben lassen,
keine andere Wahl zu haben, als hineinzugehen und nach dem Rechten zu sehen —
irgendetwas, das zu dringend war, um erst mal Verstärkung zu holen, aber doch
so unauffällig, dass niemand sonst auf der Straße es gehört hatte -, oder
jemand hatte ihn hereingerufen, jemand, der wundersamerweise gewusst hatte,
dass er ungefähr um die Zeit vorne am Faithful Place vorbeikommen würde. Oder
aber er hatte Jackie einen vom Pferd erzählt und die ganze Zeit vorgehabt, zu
dem Haus zu gehen, um sich mit jemandem zu treffen, der zu allem bereit war.
Es war
dunkel, und zu meinen Füßen hatte sich ein hübscher kleiner Haufen
Zigarettenstummel angesammelt, als Rocky und sein Kollege erwartungsgemäß um Punkt
fünf zur Tür herauskamen und Richtung Parkplatz strebten. Rocky hatte den Kopf
hoch erhoben und einen federnden Gang, und er schwang seine Aktentasche,
während er irgendeine Geschichte erzählte, die dem frettchengesichtigen
Burschen ein pflichtschuldiges Lachen entlockte. Noch ehe sie verschwunden
waren, kam Grünschnabel Stephen heraus. Er hatte ein Handy am Ohr und kämpfte
gleichzeitig mit einem Rucksack, einem Fahrradhelm und einem langen Schal. Er
war größer, als ich erwartet hatte, und seine Stimme tiefer und irgendwie rau,
was ihn jünger klingen ließ, als er war. Er trug einen grauen Mantel, der von
sehr guter Qualität war und sehr, sehr neu: Er hatte sein Sparbuch geplündert,
um auch ja zu den Jungs vom Morddezernat zu passen.
Das Gute
war, dass ich hier freie Hand hatte. Stephen mochte vielleicht Bedenken haben,
mit dem Bruder eines Opfers zu plaudern, aber ich wäre jede Wette eingegangen,
dass er nicht ausdrücklich vor mir gewarnt worden war. Cooper war eine Sache,
aber einem klitzekleinen Sonderfahnder gegenüber hätte Rocky niemals
eingestanden, dass er sich durch meine Wenigkeit bedroht fühlte. Rockys
übertriebenes Hierarchiedenken kam mir jetzt durchaus gelegen. In seiner Welt
sind Polizisten in Uniform Wasserträger, Sonderfahnder sind Droiden, nur
reguläre Detectives und höhere Ränge verdienen Respekt. Eine solche
Einstellung ist immer von Nachteil, nicht nur, weil dir dadurch einiges
entgehen kann,
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