Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
gesehen: ein schüchternes Mädchen mit einem brünetten Pferdeschwanz und Jeans. Ich habe sie für eine verirrte Touristin gehalten und bin rasch zu ihr hinüber gegangen. Sie hat Englisch gesprochen und gefragt, ob sie hier richtig sei bei einer Stelle für ‚migration‘. Ich habe zugestimmt und sie hat mich gefragt, ob man sich hier schon immer in erster Linie mit Afrikanern beschäftigt habe. ‚Auch mit Menschen aus anderen Weltgegenden‘, habe ich geantwortet. Und mit der Auswanderung von Österreichern habe man auch zu tun? Ich habe ihr gesagt, dass es hier um Zuwanderung und um die Probleme damit gehe. Sie schien sehr enttäuscht zu sein und fragte dann noch, wie lange es diese Stelle schon gäbe und ob ich ihr eine nennen könne, die auch mit Auswanderung zu tun habe. Das Ganze erschien mir ziemlich wirr. Ich war in Eile und ich habe gesagt, dass es so etwas schon lange nicht mehr gäbe. Da müsse sie sich an die jeweiligen Botschaften wenden. Sie wollte dann noch einen Tipp für eine preiswerte Unterkunft. Einer unserer Mitarbeiter hat ihr dann die Pension ‚Alexandra‘ genannt, sie ist, zumindest nach allem, was ich gehört habe, sauber. Die Zimmer haben sogar Duschen. Sie hat sich bedankt und ist gegangen.“
Das Ganze ergab keinen Sinn. Offenbar hatte die junge Amerikanerin Informationen über Auswanderung gesucht. Freud hatte auswandern müssen, aber darüber hätte sie im Museum mit Sicherheit viel mehr erfahren als bei einer Flüchtlingsberatungsstelle. Auch Vesna konnte mit den Informationen wenig anfangen. „Ich habe einen schweren Bauch von dem Eis“, sagte sie.
„Sie muss unmittelbar nach ihrer Ankunft zu der Flüchtlingsberatung gegangen sein. Sie hatte noch nicht einmal ein Zimmer.“
„Eine Verwechslung, Mira Valensky.“
„Ja, aber was für eine?“
Am Ring verkauften die ersten Kolporteure die Abendausgabe des „Blattes“. Gemeinsam steckten wir den Kopf in die Zeitung. Auf Seite zehn stand es in fetten Lettern: „Psycho-Liebchen unter dringendem Tatverdacht“. Darunter ein Foto, auf dem Ulrike verwirrt dreinsah. Die Augen weit aufgerissen, der Blick gehetzt, eine Haarsträhne klebte auf der rechten Wange. Es musste in der Früh aufgenommen worden sein, sicher nicht bei der Pressekonferenz. Gegen derartige Schmierblätter war man im Großen und Ganzen machtlos. Weit hinten im Text kam die Richtigstellung, dass es sich am vergangenen Tag nicht um ihre Festnahme, sondern nur um eine Einvernahme gehandelt habe. Es gab offene Kritik daran, dass Ulrike noch immer auf freiem Fuß war.
Der Untertitel lautete: „USA hetzt schon wieder gegen Österreich“ – berichtet wurde von den Fragen des amerikanischen Journalisten über politische Mordmotive. „Die linke US-Presse arbeitet daran, die beiden heimtückischen Morde nicht näher genannten ‚rechten Kreisen‘ in die Schuhe zu schieben und als antijüdischen Racheakt darzustellen. Stadtrat Bierbauer reagierte empört und stellte klar, Wien werde sich gegen internationale Diffamierungen zu wehren wissen, auch wenn sie von der amerikanischen Ostküste kämen. Die Verdächtige Ulrike M. gab gestern eine Pressekonferenz, in der sie die zahlreichen Indizien gegen sie zu entkräften versuchte.“
Vesna verabschiedete sich von mir wenig später. „Ich muss zu meinem Steuerberater. Ist höchste Zeit.“ Sie grinste. „Hört sich gut an, nicht? Und die Wirklichkeit: Ich putze bei dem Steuerberater.“
[ 7. ]
Das „Blatt“ hatte mich auf die Idee gebracht, noch etwas zu versuchen. Ich fuhr zur Pension „Alexandra“. Ein schlichtes Schild an einem Altbauwohnhaus wies darauf hin, dass im dritten, vierten und fünften Stock die Pensionszimmer untergebracht waren. Im Gang zum Lift roch es muffig. Ich fuhr nach oben. Die Glastüre zur Pension stand offen. Ein Perserteppich aus Acryl sollte Vornehmheit vorspiegeln, auf der schmucklosen Rezeptionstheke lagen ein paar Wienprospekte, die auch schon seit Jahrzehnten so daliegen konnten. Ich drückte auf die Klingel. Eine fette Frau um die sechzig erschien und schnaufte. „Wollen Sie ein Zimmer? A room?“
Ich schüttelte den Kopf. Ob ich das Zimmer sehen könne, in dem Jane Cooper gewohnt habe? Ich sei vom „Magazin“ und wenn die Pension in unserer Wochenzeitung vorkäme, dann sei das mit Sicherheit eine gute Werbung für sie.
„Gute Werbung, ein Mord.“ Sie schnaufte lauter.
„Sie ist ja nicht bei Ihnen ermordet worden.“
„Das wäre auch noch schöner. Das hier ist eine
Weitere Kostenlose Bücher