Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
sperrte die Tür ab und schnaufte die Treppe nach unten. „Ich achte nicht darauf, was am Nachtkästchen meiner Gäste liegt. Ich glaube, dass einmal ein Tagebuch da gelegen ist. Wie es junge Mädchen eben so schreiben.“
„Sie glauben?“
„Na, gelesen habe ich es nicht. Außerdem war es ja auf Englisch.“
Ich grinste innerlich. „Und ihre Pensionsgäste? Haben die mit der Amerikanerin geredet?“
„Machen Sie mir ja nicht meine Gäste rebellisch. Es war schlimm genug, dass sie von der Polizei befragt worden sind. Niemand hat mit ihr geredet. Wir haben keine amerikanischen Gäste gehabt zu dieser Zeit. Ein paar Ungarn, ein paar Russen und zwei Männer aus Griechenland. Die haben mir mit ihren Zigaretten alles verstunken. Es ist noch nicht Hauptsaison. In der Hauptsaison haben wir bessere Gäste, Italiener und sogar Deutsche, aber auch Schweizer, und alles ist voll.“
„Sind jetzt noch Gäste da, die Jane Cooper gesehen haben?“
„Das werde ich Ihnen auf die Nase binden!“
Hier, das war mir klar, konnte ich nichts mehr erfahren. Ich versprach Frau Alexandra noch, ihre wirklich saubere Pension hervorzuheben, verabschiedete mich und fuhr zu Ulrike.
Ich kurvte zum dritten Mal durch dieselben Straßen und hielt nach einem Parkplatz Ausschau. Jetzt erst merkte ich, wie müde ich war. Es war ein langer Tag gewesen. In den inneren Bezirken Wiens Auto zu fahren, ist idiotisch. Aber die Beratungsstellen waren über die ganze Stadt verteilt und in gewissen äußeren Bezirken gab es leider keine U-Bahn, sondern nur nervtötend langsame Straßenbahnen oder Busse, von denen ich nie genau wusste, wohin sie fuhren. Endlich quetschte ich mich in eine Parklücke. Und ging dann gute zehn Minuten zu Fuß.
„Komm herein“, sagte Ulrike. Auf ihren Wangen leuchteten rote Flecken. „Wir wollten gerade eben mit dem Essen anfangen.“ Offenbar hatte ihr jemand ein Aufputschmittel verabreicht.
An dem Glastisch saßen die Anwältin und ein voluminöser Mann, Mitte vierzig, mit offenem Hemdkragen und aufgekrempelten Ärmeln. Sein Sakko und eine weinrote Krawatte hingen über der Lehne des Stuhles. Mehr als der Unbekannte interessierte mich allerdings das, was auf dem Tisch stand: In verschiedenen Schüsselchen und Tellern war eine Reihe von kalten Köstlichkeiten angerichtet, gefüllte Pilze sah ich und fein geschnittenen Prosciutto, eine Pastete, wohl eine Wildpastete, riet ich.
Der Unbekannte hatte sich höflich erhoben.
„Mira, das ist Dr. Kellerfreund, der Kollege von Frau Dr. Fischer.“
Er schüttelte mir fest die Hand und lächelte. Freundliche braune Augen, keinen scharfen Blick, wie ich mir das von einem Rechtsanwalt erwartete. Schon wieder ein Klischee beim Teufel. Mindestens einen Meter neunzig groß. Hundertzwanzig Kilo.
„Wir haben schon eine Flasche Prosecco getrunken“, sprudelte Ulrike weiter.
Daher also kamen die roten Flecken.
„Dr. Kellerfreund hat alles mitgebracht. Jetzt soll es einen Rotwein geben. Du magst sicher auch ein Glas?“
Und ob ich wollte.
Ulrike brachte ein weiteres Gedeck und ich dankte dem voluminösen Kellerfreund für seine guten Ideen.
„Irene, also meine Kollegin Fischer, vergisst immer aufs Essen. Da ich unseren jüngsten Fall auch kennen lernen wollte, habe ich mich mit ein paar kulinarischen Mitbringseln hereingeschwindelt.“
Ich sah gierig auf seine Auswahl. Ulrike war wirklich in guten Händen. Diese Anwälte waren ein Glücksgriff gewesen.
Die nächste Stunde plauderten wir fast entspannt über Essen, Trinken, Vorurteile gegenüber der Psychoanalyse und eigenartige Wiener Fremdenpensionen. Der Anwalt verstand eine ganze Menge von gutem Essen, und als er sich dann auch noch als leidenschaftlicher Koch zu erkennen gab, vergaßen zumindest wir zwei Ulrikes Probleme. Er liebte die französische Küche und hatte unzählige Kochkurse bei den besten französischen Köchen gemacht. Ich liebe bekanntlich die italienische Küche und erzählte vom Veneto und seinen kulinarischen Feinheiten.
Die Entenleberpastete war exzellent und die Röllchen aus Gänsebrust gefüllt mit einer Preiselbeer-Wacholdercreme hinreißend. Zum Glück war der Anwalt einer, der eher zu viel als zu wenig auf den Tisch brachte. Auch etwas, das uns verband. Ich brach mir noch ein Stück Baguette ab.
„Ich kann nicht mehr“, seufzte Ulrike.
Ich konnte noch. Und aß fröhlich weiter.
„Wenn Sie müde sind, dann werfen Sie uns hinaus“, meinte die Anwältin besorgt zu Ulrike. Sie hatte schon
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