Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
von Anzeige und Diebsgesindel gesprochen.
Vesna erzählte mir am Telefon, sie sei ohne irgendeinen Kommentar in das offene Zimmer der Tiroler gegangen und habe zu suchen begonnen. „Ich kenne die Plätze, an denen Schmuck verloren geht. Habe lange genug geputzt. Man muss vorsichtig sein in diesem Geschäft. Drei Minuten später habe ich die Kette gefunden. Sie war hinter dem Bett, hinter dem Kopfteil. Billiges Silber, mehr nicht. Also habe ich sie den Tirolern gebracht. Die haben sie gepackt und nicht einmal ‚Entschuldigung‘ gesagt. Die haben sich noch aufgeregt, dass sie jetzt vielleicht den Zug nicht bekommen. Und ich habe zu Frau Alexandra gesagt: ‚Draga ist eine gute Kraft.‘ Sie hat genickt und Draga hat mich ganz dankbar angeschaut. Also vielleicht redet sie jetzt leichter. Man wird sehen.“
Man konnte nur hoffen. Die offiziellen Ermittlungen in den beiden Mordfällen gingen jedenfalls auch nicht voran. Ulrike galt noch immer als die Hauptverdächtige. Das „Blatt“ hatte ein paar Tage lang Dinge aus ihrem Privatleben ausgegraben. Ihr ehemaliger Lebensgefährte hatte ein Exklusivinterview gegeben und gesagt, dass er ihr das „Eifersuchtsattentat“ verziehen habe, aber damals jedenfalls sei sie zu allem fähig gewesen. Die Tatsache, dass sie danach eine Psychotherapie gemacht hatte, wurde so formuliert: „Sie befand sich über ein Jahr in psychiatrischer Behandlung.“
Die Leitung des Freud-Museums legte Ulrike nahe, einen längeren Urlaub anzutreten. Man stehe voll hinter ihr, aber sie brauche nach dem Schock Ruhe und Entspannung. Viel Ruhe hatte Ulrike allerdings nicht.
Bei dem Gift hatte es sich um Botulinus gehandelt. Ein Nervengift, das das Atemzentrum im Gehirn lahm legt. Verwendet wurde das Gift aber auch in der Medizin, um gewisse Nervenstränge gezielt ruhig zu stellen. An sich kommt es in verdorbenen Lebensmitteln vor. Ich beschloss, genauer als bisher auf das Ablaufdatum gewisser Produkte zu achten. Wie sollte Ulrike an Botulinus gekommen sein?
Dieser offene Punkt war es wohl, der die Mordkommission davon abhielt, sie in Untersuchungshaft zu nehmen. Denn für die Zeit, in der Jane Cooper ermordet worden war, hatte sie kein Alibi. Ihre Kollegen, mit denen sie im Museumsshop Inventur gemacht hatte, waren zwischendurch für eine Stunde weggegangen, um dem japanischen Kamerateam ein paar weitere Plätze zu zeigen, die mit Freud in Verbindung standen. Das war gegen Ende der Öffnungszeit des Museums gewesen.
Als Motiv für beide Morde stand Eifersucht noch immer hoch im Kurs.
Die amerikanischen Journalisten, die eher auf ein politisches Mordmotiv getippt hatten, waren bereits wieder abgereist. Sie konnten wenigstens ein paar antiamerikanische und antisemitische Äußerungen von Lokalpolitikern vorweisen, die im Zusammenhang mit ihren Spekulationen gefallen waren.
Mir wurde der Platz in der nächsten Ausgabe des „Magazins“ auf eine halbe Seite zusammengestrichen.
„Die Sache ist gegessen“, meinte mein Chefredakteur, wie immer ganz hinten in seinem Lederschreibtischsessel liegend, „egal, ob sie es war oder nicht. Ohne neue Fakten keine Story. So interessant sind das Freud-Museum und ein toter Psychiater auch wieder nicht.“
Ich versuchte mich also in einer kurzen Ehrenrettung Ulrikes und hoffte, dass Vesna doch noch knapp vor Redaktionsschluss eine Neuigkeit liefern würde.
Zwei Stunden später meldete mir unsere Empfangsdame, dass „da eine gewisse Frau Krajner ist, die sagt, dass sie zu Ihnen will“. Ich bat sie Vesna zu mir bringen zu lassen.
„Als ob ich den Weg nicht kenne“, sagte Vesna statt einer Begrüßung.
„Momentan haben sie es bei uns gerade wieder mit Sicherheitsvorkehrungen. Der stellvertretende Chefredakteur hat einen Kurs in Sicherheitsmanagement gemacht. Hast du Neuigkeiten?“
„Ja, habe ich.“
Mein Kollege am nächsten Schreibtisch unseres Großraumbüros sah interessiert auf. Ich hatte keine Lust, dass alle erfuhren, wer Vesna war und was sie in diesem Fall für eine Rolle spielte. Wir gingen in den Aufenthaltsraum, der gegen Ende der Produktionszeit ausnahmsweise menschenleer war.
„Draga war dankbar. Und sie hat erzählt. Viel gibt es nicht. Vielleicht aber Wichtiges. An einem Tag hat sie im Papierkorb viel Papier gefunden. Und auf einem Blatt ist gestanden: ‚Dear Mister Bernkopf‘. Was danach gestanden ist, weiß sie nicht. Sie kann nicht Englisch. Nicht einmal was ‚dear‘ heißt, hat sie gewusst. Dabei muss sie in der Schule
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