Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition)
Der Mörder sah ungefähr so aus und war ungefähr so begabt wie damals sein erster Sohn, nur tickte er genau andersherum. Er wollte die Menschen erlösen, aber nicht durch Liebe, sondern durch ihren Exitus. Dieser Sohn, sein zweiter, war kein Opfer wie sein Brüderchen, ganz im Gegenteil. Ein paar Wunder hatte er auch im Repertoire.
Abgesehen davon war er natürlich sterblich und alles, kein Übermensch, der Ausgang sollte offen sein. Würde den Figuren der Spaß an Weihnachten vergehen? Würden sie damit aufhören? Das war unwahrscheinlich. Aber eine gewisse Verunsicherung würde um sich greifen. Weihnachten mal auf die harte und ungemütliche Tour – das konnte dem Spiel nur guttun. Und Garfield Ott war eben mit Leib und Seele eine Spielernatur.
Die Heilige Familie
Die Beratungen in Maastricht zogen sich und zogen sich, bis sie einsahen, alle zusammen, beinahe gleichzeitig, dass sie es vor den Feiertagen nicht schaffen würden. Die Briten mauerten, die Polen wollten mehr Geld, die Franzosen lavierten, und der Luxemburger löste unter dem Tisch heimlich ein Sudoku. Jeder wollte nach Hause, jeder hatte genug von den anderen. Bei der Pressekonferenz musste Holz nicht unbedingt dabei sein, die Kanzlerin würde das machen. Er konnte am Abend zusammen mit den anderen zurück nach Berlin fliegen, aber er wusste nicht, was er da machen sollte. Termine standen nicht an.
Holz verabschiedete sich von seinen Mitarbeitern, Frohes Fest, und verließ das Gebäude durch den Hintereingang. Einer seiner Personenschützer telefonierte nach dem Fahrer. Holz atmete erleichtert die Winterluft ein, über der Maas stand Nebel. Er suchte in seiner Jacke nach Zigaretten. Weihnachten deprimierte ihn immer, Weihnachten war ein Sonntag hoch drei. Im letzten Jahr hatte er an Heiligabend alleine zu Hause gesessen, und wenn ihm nicht ganz schnell etwas einfiel, dann würde es in diesem Jahr so ähnlich laufen. Seit er Minister war, hatten sich die alten Freundschaften gelockert, wahrscheinlich aus Zeitmangel – viele Freundschaften waren es ohnehin nicht. Jemanden anzurufen und sich selbst einzuladen, brachte er nicht über sich, dazu war er zu stolz.
Holz wollte unbedingt Minister werden, das hatte er geschafft. Glücklicher wäre er wohl als Anwalt geworden, so viel war ihm inzwischen klar. Sein Ehrgeiz war müde und schlaff geworden über die Jahre, das hatte auch die Presse gemerkt. Zwei Jahre noch bis zu den Wahlen, im nächsten Kabinett würde er wahrscheinlich nicht mehr sitzen. Das Bundestagsmandat war vermutlich noch einmal zu halten. Sechs Jahre noch, dann Feierabend.
Die Personenschützer waren erleichtert, als er sie wegschickte, Richtung Flugplatz. Auf seine Verantwortung, na klar. Das waren sie gewohnt. Er konnte es nicht ertragen, ständig diese glatt rasierten, höflichen jungen Männer um sich herum zu haben. Er hatte ihnen oft genug gesagt, dass sie sich um die Vorschriften und Gepflogenheiten nicht zu kümmern brauchten, er nehme alles auf seine Kappe. Die Gefahr war überschaubar. Soweit er wusste, war er nicht sonderlich verhasst, auch nicht übermäßig beliebt. Er war in jeder Hinsicht unauffällig und ließ die Finger von Themen, die hohe Wellen auslösten. Er war ein fähiger Verwalter und ein treuer Gefolgsmann der Partei. Das schon.
Sie passierten die Grenze, die nicht weit war, und steuerten Aachen an. Dort entließ er auch den Fahrer und nahm ein Taxi. Es sei etwas Privates, was er vorhabe, sagte er, Frohes Fest, Alles Gute, am zweiten Feiertag um neun Uhr holen Sie mich dann bitte zu Hause in Zehlendorf ab. Auch der Fahrer kannte seine Gewohnheiten. Vermutlich dachte er, dass Holz hier in der Nähe eine Geliebte hatte, weil es immer so lief, wenn Holz in dieser Gegend war. Vermutlich wunderte der Fahrer sich, weil er ihn doch ohne Weiteres zu seiner Geliebten hätte fahren können, bei anderen lief es doch auch so. Und auf die Diskretion der Fahrer konnte man sich einigermaßen verlassen, eher jedenfalls als auf die Diskretion eines Taxifahrers. Aber er sagte nichts.
Holz’ Geliebte wohnte allerdings in Berlin, eine verheiratete Mitarbeiterin seines Ministeriums, die während der Feiertage natürlich unabkömmlich war. Dass er dieses Risiko eingegangen war, diese Affäre mit Potential für die Boulevardpresse, wunderte ihn selbst. Vor zehn Jahren, als der Ehrgeiz noch in ihm brannte, hätte er von so etwas die Finger gelassen. Aber hier ging es um etwas anderes. Er nannte dem Taxifahrer den Namen eines
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