Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
durch und wunderte sich, dass sie keinen Stich im Herzen bekam, auch keine feuchten Augen. Es war entsetzlich, aber sie konnte nicht anders. Sie musste die Fassade aufrechterhalten und dazu gehörte auch die Kälte. Alles, was sie noch spürte, war das Nikotin, das in ihr Gehirn schoss und die zehn Jahre der rauchfreien Askese sofort auslöschte.
„Sie ist die junge Frau, die man ermordet in dem Koffer gefunden hat“, sagte sie rau, nach dem ersten Lungenzug seit zehn Jahren.
„Du meine Güte, wie theatralisch! Aber so war unsere Brigitta doch schon immer. So düster und morbid.“ Ihre Zwillingsschwester war genauso wie sie, beide waren sie seelische Krüppel, jede auf ihre Art. Sie musste wieder an ihren Vater denken, der als Showmaster zu Hause ein strenges Regiment geführt und jede Abweichung von einem fixen Tagesplan mit drakonischen Strafen geahndet hatte. Obwohl er schon viele Jahre tot war, lebten Cordula und ihre Zwillingsschwester immer noch im Schatten dieses Despoten. Sie wagten es bis heute nicht, das einzige Geschenk ihres Vaters einfach wegzuwerfen.
Cordula hörte die nackten Füße ihrer Schwester über den Marmorboden huschen und nahm noch einen tiefen Zug.
„Ja, das stimmt. Sie hat uns immer mit ihrer Geschichte gelangweilt.“ Gierig zog Cordula an ihrer Zigarette und war froh, dass sie das Licht in der Wohnhalle nicht eingeschaltet hatte und sie sich so nicht in der riesigen Glasscheibe sah. „Sie hat die Geschichte sogar aufgeschrieben. Ich kann sie heute noch auswendig.“
„Ich auch: Damals, als der Sommer noch hell war und die Gewittertürme erst am Horizont auftauchten ...“, hörte sie ihre Schwester im Kleinmädchentonfall plappern.
„Hör auf damit!“, zischte Cordula. „Roberts fähigster Mann, Inspektor Tony Braun, ist schon auf dem Weg hierher“, sagte sie dann und deutete auf die Straße, die jetzt wieder im Nebel lag. „Er wird fragen, warum es damals keine polizeiliche Ermittlung gab. Er wird auch fragen, warum Brigitta damals verschwunden ist. Er wird nicht aufhören zu fragen, bis er alles weiß.“ Wütend dämpfte sie die Zigarette in einem Blumentrog aus und hatte sofort wieder das Verlangen nach der nächsten. „Er wird verdammt viele Fragen stellen! Immer muss ich mich in dieser Familie um jeden Dreck kümmern!“
„Oh, oh! Ich bin schockiert! Diese Ausdrucksweise kenne ich ja gar nicht von dir! Böses Mädchen!“ Die Stimme ihrer Schwester wurde tief und tadelnd.
Zornig streckte Cordula das Kinn nach vorne und hätte ihrer Schwester am liebsten eine Ohrfeige verpasst.
„Übrigens, Robert hatte einen Zusammenbruch! Das ist wieder typisch für ihn, diesen Schwächling. Ritter, der Oberstaatsanwalt, hat mich informiert. Anscheinend ist Robert durchgedreht, als er die dumme Uhr erkannt hat, die er Brigitta an dem Tag geschenkt hat, als es angeblich passiert ist. Das musst du dir vorstellen, vor all seinen Untergebenen erleidet er einen Zusammenbruch. Wie peinlich!“
Cordula schwieg und dachte an das silberne Etui, das auf dem Tischchen neben der Schiebetür lag und in dem noch zwei vertrocknete Zigaretten waren. Doch das hätte bedeutet, dass sie sich zu ihrer Schwester hätte umdrehen müssen und dieser Konfrontation mit quasi ihrem eigenen Gesicht wollte sie aus dem Weg gehen. Denn sie waren eineiige Zwillinge. Also unterdrückte sie das Verlangen, so wie sie immer alles unterdrückt hatte, so lange sie sich zurückerinnern konnte. Stattdessen redete sie kühl und sachlich weiter.
„Ritter versucht natürlich die Presse herauszuhalten. Aber irgendetwas sickert immer durch und dann wird unser Name in den Dreck gezogen. Und alles nur, weil Robert bei der kleinsten Schwierigkeit wie ein Feigling zusammenklappt. Er liegt jetzt übrigens in der Klinik. Besuchst du ihn?“
„Wieso ich? Er ist doch dein Mann!“ Hinter ihrem Rücken hörte Cordula, wie ihre Schwester wie eine Balletttänzerin auf einem Bein durch die Halle hüpfte.
„Aber du hast mit ihm geschlafen!“, rief Cordula und bereute diese spontane Gefühlsregung sofort wieder.
„Und wenn schon“, kicherte ihre Schwester und summte die Melodie von „Je t’aime“. „Du bist trotzdem seine Ehefrau. Du musst dich in der Klinik blicken lassen. Das erwartet man von dir.“
„Ja, leider! Aber jetzt ist es zu spät, daran etwas zu ändern! Jetzt ist es für alles einfach zu spät!“
Noch immer stand Cordula kerzengerade vor dem Fenster und starrte nach draußen, während hinter ihr die
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