Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
Scheibe war mit Graffiti übersät. Im Stiegenhaus roch es nach Putzmitteln und alten Türmatten, es gab zwar einen Lift, doch am verbeulten Türgriff hing ein Schild „Außer Betrieb“.
Das Haus hatte drei Stockwerke mit je drei Wohnungen, sein Ziel war die dritte Etage. Als er oben angekommen war, atmete er ein wenig schneller. Er war niemandem begegnet, aber das war auch nicht weiter verwunderlich, denn um diese Zeit waren die meisten Bewohner noch in der Arbeit. Im Treppenhaus vermischte sich der Autolärm der Stadtautobahn mit der Technomusik aus dem Fitnesscenter nebenan und die harten Bässe trieben sein Herz jetzt vor sich her und drängten es, noch schneller zu schlagen. Doch dieses wilde Pochen konnte natürlich auch an seiner Anspannung liegen, denn als er sein kleines handliches Etui öffnete und sein Werkzeug hervorholte, trat ihm der Schweiß auf die Stirn. Hinter seinen Schläfen pulsierte das Blut, als er endlich die Tür öffnen konnte und in die Wohnung trat. Minutenlang blieb er regungslos im Flur stehen, ließ die Eindrücke auf sich wirken. Er sah eine Kommode, auf der sich Post und Reklamesendungen stapelten, und einen Kleiderständer aus Metall, auf dem Jacken und Mäntel wild übereinander hingen. Registrierte Springerstiefel und Sneakers, die auf ausgebreitetem Zeitungspapier auf den Dielen standen. Einen an den Ecken eingerissenen Poster von einer Band mit dem merkwürdigen Namen „The Smiths“, die er nicht kannte.
Mit seiner Hand berührte er einen schwarzen Mantel, der nachlässig über den Kleiderständer geworfen war, strich über den Stoff, hatte aber mit seinen schwarzen Lederhandschuhen kein Gefühl für die Struktur. Links war das Badezimmer, das er nur kurz besichtigte, die nächste Tür führte in die Küche, in der sich schmutzige Teller und Tassen im Spülbecken stapelten, und auch der Mülleimer quoll bereits über. Auf dem Kühlschrank klebte eine Nachricht, die aber nicht für ihn bestimmt war.
Mit einer Fingerspitze stieß er eine angelehnte Tür auf, blickte in einen großen Raum, der nur mit Schallplatten angefüllt war. Vom Boden bis zur Decke waren alle Wände mit Regalen zugestellt, in denen wahrscheinlich tausende von Schallplatten archiviert waren, überall nur weiße Regale und Schallplatten – diese unglaubliche Sammlerwut machte ihn so nervös, dass er leicht zu zittern begann.
Als er das vorhanglose Fenster entdeckte, beruhigte er sich ein wenig. Jetzt war auch der Autolärm deutlich zu hören, denn auf dem Zubringer zur Stadtautobahn hatte sich ein Stau gebildet. Langsam zog er seine Handschuhe aus und steckte sie in seine Jackentasche. Vorsichtig zog er dann verschiedene Platten aus den Regalen, strich mit den Fingerspitzen über die Hüllen, las die Titel, betrachtete die Bandfotos, kannte aber nicht einen einzigen Namen.
Nach einem Blick auf seine Armbanduhr setzte er sich langsam auf die Couch, betrachtete die beiden geöffneten Bierdosen, die auf dem Tisch standen. Er bemerkte die bereits eingetrockneten Glasränder auf der Tischplatte, entdeckte eine hellere Stelle, wo das Bier verschüttet worden war. Schließlich langte er nach einer der Bierdosen und schlürfte genüsslich den abgestandenen lauwarmen Rest. Mit einem leisen Schmatzen wischte er sich über die Lippen und versuchte den Geschmack auf seinem Gaumen zu konservieren. Es war das Bier seines Freundes, das durch seine Kehle geflossen und jetzt in seinem Körper war und dadurch rückte er seinem Freund noch ein Stück näher. Gestärkt vom Bier seines Freundes stand er auf, stellte sich in die Mitte des Wohnzimmers, um die Atmosphäre einzusaugen, doch dann hörte er durch den Straßenlärm das widerliche Gurren der Tauben auf dem Fensterbrett und der Horror begann. Panisch drückte er seine Zeigefinger an die Schläfen, um die Bilder zu vertreiben, die sich aufdrängten, um ihn herumflatterten wie aufgescheuchte Vögel, wie Tauben, von denen er doch therapiert worden war.
Den Atem kontrollieren, langsam den Pulsschlag wieder senken und die Bilder zurückdrängen und einsperren in den hintersten Winkel des Kopfes. An die Scheibe klopfen und die Tauben vertreiben. Draußen wurde es immer düsterer oder bildete er sich das nur ein? Regungslos schaute er nach draußen auf den Zubringer, auf dem jetzt wieder unentwegt die Autos fuhren, deren Motorengeräusche ein monotones Rauschen erzeugten, das beinahe wie eine Meeresbrandung klang. Je länger er auf den Zubringer starrte, desto klarer
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