Frevel im Beinhaus
hinausdürftet?»
Adelina blieb auf der obersten Stufe stehen. «Das würde ich, Mira.»
Mira nickte mit ernster Miene. «Ich auch, Meisterin.»
«Ich auch», fügte Griet sogleich hinzu.
«Aber das wiederum würde ich niemals zulassen», erwiderte Adelina streng. «Geht nun in Eure Kammern und versucht zu schlafen.»
«Ja, Meisterin.»
«Ja, Mutter.»
Die beiden Mädchen huschten die Stiege hinauf. Adelina blieb noch einen Moment nachdenklich im Laboratorium stehen. Schließlich löschte sie den Kienspan, schloss energisch die Tür und machte sich im trüben Licht des Öllämpchens ebenfalls auf den Weg in ihre Kammer.
26
Der Regen hatte kurz nach Mitternacht aufgehört, und auch das Gewitter war fortgezogen. Ein frischer Wind hatte die Wolken über Köln auseinandergetrieben, sodass nun ein Meer von Sternen am Firmament blinkte. Auch der Mond – fast voll gerundet – warf sein helles Licht auf die Dächer der Stadt.
Adelina hatte ein paar Stunden geschlafen, doch unruhige Träume hatten sie schließlich wieder geweckt, und nun stand sie in ihrem weiten, wadenlangen Hemd am Fenster und blickte über den stillen Alter Markt. Hin und wieder ertönte der Ruf eines Nachtvogels; einmal hatte sie die Schatten zweier Männer gesehen, die den Marktplatz überquert und sich dabei leise unterhalten hatten – die Nachtwächter auf ihrer Runde.
Von ihrem Ausguck sah es so aus, als glänzten die Trittsteine, die man für die höherstehenden Bürger auf dem Platz verlegt hatte. Nur in diesen frühen Morgenstunden, lange genug, bevor die Sonne aufging, herrschte in Köln eine solche Ruhe. Doch war sie nicht trügerisch? Irgendwo in der Stadt trieb ein gemeiner Mörder sein Unwesen. Schlimmer noch: ein Mörder, der seine Opfer für einen satanischen Kult missbrauchte. Sie schauderte bei der Vorstellung und bat die heilige Gottesmutter aus tiefstem Herzen um Hilfe und Unterstützung für sich und ganz besonders für Neklas.
Lange starrte Adelina nach oben zu den Sternen und betete um ein Einsehen der himmlischen Mächte – oder doch wenigstens um eine Eingebung, wie sie selbst etwas tun konnte.
Wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie zugeben, dass der Gedanke an die unterirdischen Gewölbe sie nicht mehr losließ. Natürlich konnte sie sie nicht selbst betreten. Die Gefahr, in die sie sich damit begeben würde, war einfach zu groß. Was, wenn jemand sie überfiel oder wenn sie sich verlief und den Ausgang nicht mehr fand?
Vorsichtig ließ Adelina ihre Fingerspitzen über den Fensterrahmen gleiten und dachte angestrengt nach. Musste sie denn überhaupt in das Labyrinth von Gängen hinabsteigen? Reichte es nicht vielleicht, ganz nah beim Haus zu bleiben? Ihr Blick wanderte nach links zur Fassade des Nachbarhauses, welches im Erdgeschoss Meister Jupps Behandlungsräume und einiges von Neklas’ Arztutensilien beherbergte. War es nicht möglich, dass es auch dort einen Zugang zu den Gewölben gab? Warum sollten sie nur vom Apothekenhaus zugänglich sein?
Adelinas Herz begann heftig gegen ihre Rippen zu pochen. Langsam zog sie sich vom Fenster zurück und griff nach ihrem Kleid, das über dem Fußende des Bettes hing.
***
Die Holzkiste erneut auszuleeren, war weniger problematisch als das möglichst leise Verrücken des Kastens. Jedes Geräusch schien in der nächtlichen Stille überlaut widerzuhallen. Zweimal meinte Adelina hinter der Tür, die sie vorsichtshalber fest verschlossen hatte, ein Geräusch zu hören, doch wenn sie nachsah, war niemand dort. Auch Stache nicht, den sie zuvor schlafend auf einem Stuhl in der Apotheke entdeckt hatte.
Schließlich war die anstrengende Arbeit bewältigt, und Adelina griff nach der Fackel, die sie sich für ihre Unternehmung aus der Speisekammer geholt hatte. Sie lauschte noch einmal angestrengt – im Haus war noch immer alles ruhig –,dann stieg sie vorsichtig die steile Treppe hinab in die Unterwelt.
So ganz allein hier unten fühlte sie sich mit einem Mal merkwürdig verlassen. Sie überlegte kurz, ob sie die Falltür hinter sich schließen sollte, unterließ es jedoch, da ihr Verschwinden sowieso recht schnell entdeckt und ihr Fluchtweg gefunden werden würde. Entschlossen schritt sie den Gang entlang bis zu dem alten Beinhaus. Ein Rascheln ließ sie zusammenschrecken, dann entdeckte sie im Schein der Fackel ein paar Ratten, die sich fiepend vor ihr in Sicherheit brachten.
Kopfschüttelnd über ihre Schreckhaftigkeit tappte Adelina weiter zu der Tür am hinteren Ende
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