Frevel im Beinhaus
selbst an jene Orte zu begeben, aus denen vermutlich dieMordbuben stammten. Zwar war es ärgerlich, doch ihr Bruder hatte recht. Selbst ein bewaffneter Mann war dort nicht sicher, geschweige denn eine wehrlose schwangere Frau. Sie hoffte, dass er morgen wieder zurückkehrte, denn dann würde sie ihn bitten, sich trotz der Gefahr noch einmal in jene Unterwelt zu begeben. Wenn nämlich Michel und Hugo Hehler waren, dann hatten sie gewiss Helfer oder auch Feinde. Vielleicht gab es auf diesem Wege einen Hinweis auf ihren Auftraggeber. Möglicherweise konnte Jupp Greverode begleiten. Der Chirurg war ein gewitzter Mann und darüber hinaus eine imposante Erscheinung. Zwei Männer wie die beiden würden vielleicht etwas erreichen.
Adelinas Blick heftete sich auf die Holzkiste, unter der sich die Falltür verbarg. Eines hatten sie bisher gar nicht bedacht. Wenn hier tatsächlich eine Sekte von Dämonen-oder Teufelsanbetern zugange war, dann mussten sie sich irgendwo einen Ort für ihre Beschwörungen eingerichtet haben. So etwas tat man doch vermutlich nicht in der eigenen Wohnstube. Der Erzbischof verfügte zwar über ausgedehnte Ländereien und unzählige Häuser, aber würde er dort das Risiko einer Entdeckung eingehen? Nein, ganz gewiss nicht. Er – oder wer auch immer seine Handlanger waren – würde sein sündhaftes Werk im Verborgenen ausführen. Wo konnte man sich wohl besser verbergen als in jenem Gewirr von Gängen, Kellerruinen und römischen Wasserleitungen, das sich unter Kölns Häusern und Straßen befand? Selbst wenn dort unten wirklich so viel Gesindel hauste, wie Greverode und Ludmilla behaupteten, gab es bestimmt Winkel, in denen sich ein Laboratorium verstecken ließ. Immerhin war die Leiche des Säuglings ebenfalls in einem Gelass an der Ulrepforte entdeckt worden, das zu den römischen Gewölben gehörte.
Warum war noch niemand auf den Gedanken gekommen, dort weiter nachzuforschen? Oder hatte man es getan,aber einfach nichts gefunden? Adelina ärgerte sich, dass sie nicht früher darauf gekommen war und Reese oder ihren Bruder danach gefragt hatte. Wenn sie doch mehr Zeit zur Verfügung hätten!
Unsicher machte Adelina einen Schritt auf die Holzkiste zu, als sie hinter sich ein leises Scharren vernahm. Erschrocken fuhr sie herum und sah sich Griet und Mira gegenüber, die barfüßig und nur in ihren Unterkleidern in der Tür des Laboratoriums standen.
«Ach du liebe Zeit, was tut ihr denn hier?», entfuhr es Adelina, und sie legte eine Hand auf ihr pochendes Herz. «Ihr habt mich erschreckt!»
«Verzeihung, Mutter, das wollten wir nicht», sagte Griet verlegen. «Wir wollten nach dir sehen und haben dich nicht gleich gefunden. Erst als wir merkten, dass die Tür zur Kellertreppe offen steht … Was machst du denn hier unten? Suchst du etwas?»
«Nein. Ich habe nur nachgedacht, das ist alles.» Sie musterte die beiden Mädchen eindringlich. «Habt ihr etwas auf dem Herzen, dass ihr mich gesucht habt?»
Zögernd sahen die beiden Mädchen einander an und schüttelten dann die Köpfe. «Nein, Meisterin, nichts. Wir machen uns nur Sorgen um Euch. Ihr wart den ganzen Tag so blass und elend.»
«Es geht mir gut, Mira.»
«Können wir denn gar nichts tun?», fragte Griet traurig. «Ich will nicht, dass Vater etwas geschieht.»
«Das will ich auch nicht.» Rasch ging Adelina zu ihrer Stieftochter und nahm sie fest in ihre Arme. «Das will ich auch nicht.»
«Wir müssen unbedingt etwas tun!» Mira schob kämpferisch ihr Kinn vor. «Die Schöffen dürfen ihn nicht einfach so verurteilen.»
Adelina schob Griet wieder ein Stückchen von sich. «Daswerden sie auch nicht. Wir müssen eben einen Weg finden, zu beweisen, dass jemand anderer dahintersteckt.»
«Die Teufelsanbeter.» Mira bekreuzigte sich rasch. «Das müssen ganz furchtbar schlimme Menschen sein.»
«Das fürchte ich auch, mein Kind.»
«Und wie sollen wir es beweisen?», fragte Griet verzagt.
Adelina warf einen sinnierenden Blick auf die Holzkiste. «Das weiß ich noch nicht, aber mir wird bestimmt etwas einfallen.» Sie gab den beiden Mädchen ein Zeichen, ihr zu folgen. «Kommt jetzt, gehen wir zu Bett. Bei diesem Unwetter hat es keinen Sinn, lange aufzubleiben. Außerdem bin ich sehr müde.»
Während sie die Treppen hinaufstiegen, fragte Mira: «Diese Männer sind doch sehr gefährlich, nicht wahr?»
«O ja, davon müssen wir ausgehen.»
«Würdet Ihr trotzdem nach ihnen suchen, wenn … na ja, wenn Ihr
Weitere Kostenlose Bücher