Frevel im Beinhaus
– um all jene Mitstreiter auf seine Seite zu ziehen, die er benötigte, um den König seines Amtes zu entheben.
Was ihr unklar erschien, war seine Verbindung zu Thomasius. Dieser war zwar ein Aufrührer, jedoch als einfacher Dominikaner ganz bestimmt nicht wichtig oder einflussreich genug, um auch nur von einem Legaten Friedrichs wahrgenommen zu werden, geschweige denn von ihm selbst. Dennoch hatte er Thomasius zum Inquisitor ernannt, wenn auch bloß dem Titel nach.
Wie also hatte der Dominikaner in diese hohen Kreise aufsteigen können? Und warum tat er es erst jetzt? Thomasius war kein junger Mann mehr. Gemessen am Alter seiner Schwester Ludmilla musste er die fünfzig schon weit überschritten haben. Ein wenig spät für eine Karriere am erzbischöflichen Hofe, so kam es ihr vor.
Da er sich oft in der Gesellschaft von Vater Emilianus aufhielt, war anzunehmen, dass die beiden einander entweder schon länger kannten oder dass Thomasius sich – auf welchen Wegen auch immer – bei dem hohen Geistlichen beliebt gemacht hatte. Doch welche Ziele verfolgte er damit? Tat er das alles, um Neklas aus verletzter Ehre oder Eitelkeit etwas heimzuzahlen? Dass er nachtragend war, stand außer Zweifel, aber für derart niederträchtig hätte sie selbst ihn nicht gehalten. Es sprach trotzdem sehr viel dafür – nur eben nicht sein letzter Besuch. Oder hatten sie sich die versteckten Hinweise in seiner Rede bloß eingebildet, und er war, wie sie zunächst angenommen hatte, nur noch einmal gekommen, um in offenen Wunden herumzustochern?
«Nein», sagte Adelina laut, sodass Moses überrascht den Kopf hob und sie erwartungsvoll anblickte. «Er wollte uns irgendetwas mitteilen.» Adelina knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe. Was Thomasius auch tat, gewöhnlich verfolgte er ein Ziel damit. Er hatte sie auf die Teufelsbeschwörer hingewiesen und auf das verschwundene Messer. Dieser Hinweis hatte immerhin dazu geführt, dass sie erfahren hatten, wie die Büttel Hugo und Michel möglicherweise in die Sache verstrickt waren. Dass Hugo getötet worden war, sprach dafür, dass es sich nicht um einen Irrtum handelte. Vermutlich war auch Michel ermordet worden. Es war gewiss Zufall gewesen, dass Hugo am versandeten Ufer der Poller Köpfe an Land getrieben worden war. Das Gebiet dort wurde seit einiger Zeit mit jungen Weiden bepflanzt. Eine Maßnahme, die verhindern sollte, dass der Rhein sich auf der rechtsrheinischen Seite ein neues Flussbett suchte. Auch war bereits mit dem Bau diverser Schutzbauten zwischen Poll und Deutz begonnen worden. Es gab bei Poll dennoch schon länger einige leicht versandete Stellen, die schon Schiffe und Flöße zum Stranden gebracht hatten. Jetzt im Sommer, wo der Rhein Niedrigwasser führte, war die Gefahr sogar noch größer.
Wenn man auch Michel ertränkt hatte, war seine Leiche vielleicht mehr in der Mitte des Flusses geblieben und rheinabwärts getrieben worden. Falls er sich nicht in einer Mühle oder den Reusen der Fischer verfing, würde man ihn möglicherweise niemals finden.
Ärgerlich war natürlich, dass es nun keinerlei Möglichkeit mehr gab, von den beiden zu erfahren, in wessen Auftrag sie gehandelt hatten. Die Art und Weise, wie sie aus dem Weg geräumt worden waren, und vor allem die Tatsache, dass dies äußerst schnell geschehen war, nachdem sich herumgesprochen hatte, dass sie eine Spur verfolgten, ließ wieder darauf schließen, dass die Drahtzieher Männer waren,die ihre Augen und Ohren überall hatten und Verbindungen zu Leuten besaßen, die ihre Befehle umgehend ausführten.
Wie sie es auch drehte und wendete, die Fäden schienen immer wieder beim Erzbischof zusammenzulaufen. An die Möglichkeit, dass jemand von den aus Köln vertriebenen Patriziern seine Hand im Spiel haben könnte, glaubte Adelina weniger. Nicht nur, weil die meisten der Hintermänner, die die neue Stadtverfassung hatten hintertreiben wollen, inzwischen hingerichtet worden waren, sondern weil es ihr eher unwahrscheinlich erschien, dass sich jemand ausgerechnet den städtischen Medicus für seine Rachepläne ausgesucht hatte.
Nein, viel eher leuchtete ihr die Annahme ein, dass der Erzbischof Gold benötigte. Er hatte Macht und Verbindungen, und möglicherweise kam es ihm gelegen, dass er auf diese Weise einen unbequemen Mann loswurde. Unbequem war Neklas ihm sicher, hatte Friedrich in der Vergangenheit doch mehr als einmal öffentlichen Leichenöffnungen zustimmen müssen, was ihm ganz sicher nicht
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