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Frevel im Beinhaus

Frevel im Beinhaus

Titel: Frevel im Beinhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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des Beinhauses. Durch das vergitterte Fensterchen meinte sie wieder einen Luftzug zu verspüren. Greverode hatte gesagt, der Gang dahinter führe in Richtung Judengasse und Mikwe. Vermutlich gab es dort einen Ausgang, aber konnte sie es wagen, bis dahin zu laufen? Immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie einem der Bewohner der Unterwelt begegnete.
    Zögernd wandte sie sich wieder um und leuchtete die Wände des Beinhauses und seine massive Gewölbedecke ab. Hier gab es keinen weiteren Ausgang. Etwas enttäuscht machte sich Adelina auf den Rückweg und kam dabei auf den Gedanken, auch die Decke des Ganges genauer zu betrachten. Sie bestand überall aus großen, mit Mörtel verfugten Bruchsteinen. Nirgendwo war eine Tür oder eine andere Öffnung auszumachen. Kurz vor dem Vorratsraum unter ihrem Keller machte Adelina wieder kehrt. Sie durfte jetzt nicht einfach aufgeben. Wenn es nur jenseits des Beinhauses einen Ausgang gab, dann musste sie ihn eben wohl oder übel suchen. So schnell sie konnte, lief sie den Weg zurück. Wieder scheuchte sie ein paar Ratten auf, diesmal jedoch beachtete sie sie nicht weiter.
    Die Spuren, die Greverode an der hinteren Tür des Beinhauseshinterlassen hatte, waren deutlich zu erkennen. Adelina war dankbar, dass er die verrosteten Riegel vor ihr bewegt hatte, denn sie ließen sich einigermaßen leicht öffnen.
    Der Gang führte nach links – wie erwartet – in Richtung der Judengasse. Sorgsam zog Adelina die Tür hinter sich zu und ging dann vorsichtig weiter. Der Weg schien sich endlos hinzuziehen; nach einigen Schritten blieb sie erneut stehen und lauschte, da sie meinte, hinter sich ein Geräusch zu vernehmen. Sie schüttelte den Kopf. Offenbar hatte sie nur den Widerhall ihrer eigenen Schritte gehört. Und irgendwo tropfte Wasser.
    Sie ging immer weiter, ohne dass der Gang einmal abzweigte, und wunderte sich bereits, dass es nicht weitere Zugänge gab. Sie hatte schnell ihr Zeitgefühl verloren und konnte auch nicht recht einschätzen, wie weit sie bereits gekommen war, als sich der Gang plötzlich gabelte. Unentschlossen blickte sie erst in den linken, dann in den rechten Zweig. Sie ging rechts ein paar Schritte weiter und erschrak, als sie leise Stimmen und Lachen vernahm. Eine Gänsehaut zog sich über ihr Rückgrat. Das musste das Gelass sein, von dem Greverode vermutet hatte, es diene irgendwelchem Gelichter als Unterschlupf.
    Rasch zog sich Adelina wieder zurück und hielt sich links, bis ihr Weg wenig später vor einer Wand endete. Hier hatte jemand den Durchgang vermauert. Ob sich dahinter die jüdische Mikwe befand? Ratlos starrte Adelina auf die Wand. Was sollte sie jetzt tun? Sie war schon zu weit gekommen, um jetzt einfach umzukehren. Also nahm sie doch wieder den rechten Gang. Diesmal war alles ganz still. Ob sich die Männer, die sie gehört hatte, zum Schlafen niedergelegt hatten? Sie glaubte nicht, dass sie es fertigbringen würde, so leise an ihnen vorüberzuschleichen, dass sie nicht aufwachten. Sie würde sich viel zu sehr fürchten, um nur einen Schritt in das Gelass zu tun.
    Als sie in einiger Entfernung eine breitere Öffnung des Ganges entdeckte, blieb sie wieder stehen. Dort hinten flackerte ein schwaches Licht, dennoch würde man ihre eigene Fackel sofort entdecken, falls dies nicht schon geschehen war. Rasch ging sie ein Stück zurück und lehnte die Fackel gegen die Wand, dann tastete sie sich sehr vorsichtig und langsam weiter, bis sie die Öffnung erreicht hatte.
    Der Durchgang mündete in etwas, das aussah wie ein Kellerraum mit festgestampftem Lehmboden. Rechts an der Wand hing eine Pechfackel in einer Halterung. Auf dem Boden lagen mehrere abgenutzte Strohschütten mit zerfransten Wolldecken; dazwischen stand benutztes Essgeschirr herum. An der linken Wand türmten sich ein Haufen Schuhe und Stiefel und mehrere sehr wertvoll aussehende Kleider. Adelina brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie wohl gestohlen waren. Oder hatte der Schellenknecht von Melaten sie hierhergebracht, um sie später zu verkaufen, anstatt sie, wie eigentlich vorgesehen, dem Leprosenhaus zu bringen?
    Was Adelina sehr erleichterte und zugleich ermutigte, war die Tatsache, dass sich keine Menschenseele mehr in dem Raum befand. Es sah aus, als seien die Bewohner eben von ihren Schlaflagern aufgestanden und nach einer kleinen Stärkung zu ihren Tätigkeiten aufgebrochen – woraus diese auch immer bestehen mochten. Dennoch klopfte Adelina das Herz heftig vor Aufregung. Um

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