Frevel im Beinhaus
Engelmacherin. Sie hatte schon so mancher Frau geholfen, ein unerwünschtes Kind vor der Zeit aus dem Leib zu treiben.Und sie kannte Mittel, mit deren Hilfe man recht zuverlässig eine Schwangerschaft verhindern konnte. Ein solches nahm Franziska seit einigen Jahren ein, denn sie teilte sich mit Ludowig ein Bett. Die beiden liebten einander innig, konnten jedoch als mittellose Dienstboten schlecht einen eigenen Hausstand gründen. Adelina hätte es zwar akzeptiert, wenn Franziska schwanger geworden wäre, und das Kind in ihren Haushalt aufgenommen. Doch Franziska tat alles, um nicht in diese Situation zu geraten, damit sie nicht allein mit einem unehelichen Kind dastünde, sollte Adelina und ihrer Familie einmal etwas zustoßen.
Selbstverständlich durfte niemand um die geheime Arznei wissen, die Ludmilla ihr gab, deshalb sprachen sie, falls nötig, nur von einer gut duftenden Kräutermischung.
Rasch nahm Adelina das Beutelchen und legte es in eine ihrer Kleidertruhen. «Ich werde es Franziska heute Abend geben», versprach sie. «Hast du übrigens von dem Vorfall im Beinhaus in der Rheingasse gehört?»
Wieder schnalzte Ludmilla, diesmal jedoch missbilligend. «Sicher hab ich davon gehört. Solche Dinge sprechen sich schnell herum. Aber der Klatsch war diesmal langsamer als mein eigen Fleisch und Blut. Thomasius hat mich gestern aufgesucht und mir den Tag verdorben.»
Adelina hatte gerade den Truhendeckel wieder schließen wollen, hielt nun aber verblüfft mitten in der Bewegung inne. «Thomasius war draußen in deiner Waldhütte? Was wollte er?»
Ludmilla schnaubte abfällig. «Na, was schon? Sich aufspielen und mir Scherereien machen, wie immer. Er behauptete tatsächlich, er müsse meine Habseligkeiten untersuchen, weil der dringende Verdacht bestehe, dass ich mich der Schwarzen Künste bedienen und aus Kinderknochen absonderliche Mixturen zur Dämonenbeschwörung zubereiten würde.»
Adelina wurde blass. Der Truhendeckel fiel ihr mit einem Krachen aus der Hand. «Das darf doch wohl nicht wahr sein!»
«Genau das habe ich auch zu ihm gesagt.» Grimmig nickte Ludmilla und hängte sich ihren Korb an den Arm. «Dann habe ich ihn gefragt, ob er noch bei Verstand sei. Er sagte, er habe aus sicherer Quelle erfahren, dass Weiber wie ich Kinderknochen für ihre Zaubertränke zu Pulver vermahlen, sich damit einreiben und so allerhand Unheil über die Menschen bringen.» Erbost ging Ludmilla in Adelinas Schlafkammer auf und ab. «Erst da begriff ich, um was es überhaupt ging.» Sie blieb stehen und blickte Adelina einen langen Moment schweigend an. «Natürlich habe ich Thomasius gesagt, was ich von diesen lächerlichen Verdächtigungen halte. Daraufhin behauptete er, man würde mir ganz gewiss auf die Schliche kommen und mir, sollte ich etwas mit dem Knochenraub zu tun haben, die Hütte über dem Kopf anzünden … er würde höchstpersönlich dafür sorgen, dass ich nicht entkomme und meine Seele zur Hölle fährt.»
Adelina schauderte. «Dein Bruder scheint verrückt geworden zu sein.»
«Das dachte ich zuerst auch», stimmte Ludmilla zu und blieb bei der Tür stehen. «Aber als er fort war, natürlich nicht, ohne mich vorher mit einer ganzen Reihe von Verwünschungen zu überschütten, wurde mir klar, dass er mich hatte warnen wollen.»
Einen Moment lang blickte Adelina die alte Frau fragend an, dann wurden ihre Augen groß. «Du meinst, er weiß, dass man dich verdächtigt und …»
«… hat beschlossen, dass Blut doch dicker als Wasser ist? So in der Art.» Ludmilla hob die Schultern. «Was genau in seinem Kopf vorgeht, kann ich nicht sagen. Er war mir schon immer ein Rätsel. Aber inzwischen bin ich mir ziemlichsicher, dass er mich warnen wollte, denn auf meinem Weg in die Stadt erfuhr ich zufällig, dass ein paar erzbischöfliche Soldaten nach dem Weg zu mir gefragt haben.»
Entsetzen zeichnete sich auf Adelinas Gesicht ab. «Du meinst, sie sind womöglich in diesem Moment in deiner Hütte und suchen nach den gestohlenen Knochen?»
«Das ist gut möglich.» Ludmilla lächelte bitter. «Sie werden natürlich nichts finden als getrocknete Kräuter und meine spärlichen Vorräte. Es sei denn …»
Adelina schluckte. «Es sei denn, sie wollen, dass Knochen bei dir gefunden werden.» Sie schlug die Hände vors Gesicht. «O Ludmilla, wie entsetzlich! Was willst du jetzt tun? Ich könnte dir …»
«Unterschlupf gewähren?» Nun lachte Ludmilla wieder krächzend. «Kindchen, mach dich nicht lächerlich.
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