Frevel im Beinhaus
Bartold Scherfgin, der sie in Anwesenheit des fast vollzählig erschienenen Schöffenkollegs zu den Ereignissen des Vortages befragte. «Niemals würde er eineFrau umbringen, um irgendwelche Experimente an ihr durchzuführen.» Sie drehte sich zu den Schöffen um. «Ihr kennt ihn doch! Er arbeitet schon seit Jahren als städtischer Medicus und hat …»
«… bereits mehrfach Leichen seziert, und das nicht selten unter äußerst denkwürdigen Umständen», unterbrach Scherfgin sie.
«Aber es geschah mit Zustimmung der Schöffen und des Erzbischofs.»
«In den Fällen, die uns bisher bekannt waren.» Der Vogt verzog verstimmt die Lippen. «Vielleicht wisst Ihr ja gar nicht, dass Euer Gemahl anno 1394 in einem Prozess wegen Ketzerei der unerlaubten Leichenöffnung und der Giftmischerei angeklagt war? Und dass er unter nicht vollständig geklärten Umständen seiner gerechten Strafe entkommen konnte?»
Entsetzt starrte Adelina ihn an und spürte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich.
Zufrieden lächelnd beugte sich Scherfgin ein Stückchen vor. «Ich sehe, Ihr wisst es doch.» Bedächtig rieb er sich das glattrasierte Kinn. «Es zu leugnen, wäre auch äußerst unklug, denn es gibt einen Zeugen.»
«Zeugen?» Adelina spürte, wie sich ihre Kehle verengte.
Scherfgin gab einem Gerichtsdiener, der neben der Saaltür stand, ein Zeichen. «Holt ihn herein.»
Für einen Moment schloss Adelina die Augen, als sie das blendende Weiß des Dominikanerhabits erkannte. Doch sogleich öffnete sie sie wieder und bemühte sich um Haltung. «Bruder Thomasius.»
Der hagere Mönch mit der langen Hakennase erwiderte ihren Blick ausdruckslos. «Meisterin Burka.» Er verschränkte die Hände in den Ärmeln des Habits. «Hatte ich Euch nicht gewarnt, dass wir uns eines Tages auf diese Weise wiedersehen würden?» In seiner Stimme klang der üblicheselbstgefällige Ton mit, den Adelina zu fürchten gelernt hatte.
Auch wenn sie sich aufrecht hielt, hatte sie das Gefühl, dass ihre Kräfte sie alsbald verlassen würden. Finster erwiderte sie seinen Blick. «Warum hasst Ihr Neklas so?», fragte sie. «Er hat Euch nie etwas zuleide getan.»
Thomasius hob die Augenbrauen und lächelte dünn. «Meine Tochter, ich hasse Magister Burka keineswegs. Der Herr spricht: ‹Liebe deinen Nächsten.› Nichts anderes tue auch ich. Doch ein verirrtes Schaf, das vom Wege abgekommen ist, muss auf den rechten Weg zurückgeführt werden. Eine Zeitlang sah es so aus, als habe er sich geläutert, aber nun scheint es, als sei er wieder rückfällig geworden.»
«Rückfällig?» Adelinas Stimme kippte beinahe über.
Thomasius wandte sich an die Schöffen und den Vogt. «Ihr guten Männer, wie ich heute früh schon einmal ausgesagt habe, besitze ich genaue Kenntnisse über die Verfehlungen des Magisters Neklas Burka. Diese werde ich im Prozess selbstverständlich zu Protokoll geben. Ich beobachte Magister Burka schon, seit er in Köln lebt, und musste mit Bedauern feststellen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er hier in dieselben Untaten verfiel wie einst in Italien.»
Der Vogt nickte interessiert. «So sagt uns denn, Herr Inquisitor, woher genau Ihr den Herrn Magister kennt.»
«Inquisitor?» Adelina zuckte zusammen und riss die Augen auf.
Scherfgin warf ihr einen strafenden Blick zu. «Bruder Thomasius ist ein Mitglied der Heiligen Römischen Inquisition», erklärte er, sowohl an sie als auch an die Schöffen gewandt, für die diese Information offenbar ebenfalls neu war. «Obgleich es sich im vorliegenden Falle nicht um ein kirchenrechtliches Vergehen handelt, sondern um ein durch und durch weltliches, sind wir froh, dass er uns mit seinem Rat und Wissen zur Seite stehen wird.»
«Ihr seid Inquisitor?» Fassungslos starrte Adelina Thomasius an, der jedoch nicht darauf reagierte, sondern so tat, als habe er sie nicht gehört.
Stattdessen antwortete er auf Scherfgins vorherige Frage: «Ich war Mitankläger im damaligen Prozess gegen Magister Burka. Dass er nicht verurteilt wurde, verdankt er der unglückseligen Fügung, dass einige Zeugen ihre Aussagen ganz plötzlich widerriefen und ein paar sehr angesehene Personen sich für ihn in einer Weise einsetzten, die mich heute noch staunen lässt.» Er hielt einen Moment inne. «Da mir die ganze Sache äußerst suspekt war, machte ich es mir zur Aufgabe, Neklas Burka ausfindig zu machen – denn er verschwand spurlos – und ihn fortan im Auge zu behalten. Zum Glück, wie sich nun ja
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