Frevel im Beinhaus
Leuten zählten. Schon eine Berührung mit ihnen konnte auch sie unehrlich werden lassen.
Der Knecht stocherte mit der langen Holzstange in der Grube herum und zog sie dann heraus. Erst da erkannte Adelina, dass an der Stange unten eine Querstrebe befestigt war, mit der wohl der Boden der Grube abgekratzt wurde.
«Schluss für heute», rief der Mann seinen Helfern zu. «Da unten ist nichts mehr.» Er nahm einen Kienspan vom Karren und entzündete ihn. Prüfend leuchtete er in die Grube, und Adelina war versucht, doch näher zu treten. Sie hielt sich aber zurück, als der Goldgräber kopfschüttelnd um die Grubenöffnung herumlief und nach allen Richtungen hineinsah. «Leer», rief er. «Hier sind wir fertig.» Er löschte den Kienspan wieder und ließ den Deckel auf die Öffnung knallen. Dann nickte er Adelina zu. «Wir gehen jetzt, Meisterin Burka.»
Da sie in seinen Augen einen Funken Mitleid zu erkennen glaubte, trat sie einen halben Schritt auf ihn zu. Sie wusste, dass selbst das Ansprechen der Männer verpönt war. «Habt Ihr das Messer gefunden?»
Der Mann wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. «Nur Scheißdreck, gute Frau. Von Messern keine Spur.» Er gab den anderen Goldgräbern ein Zeichen und ging ihnen voraus durch das Tor.
«Ihr solltet mit diesen Kerlen nicht sprechen», mahnte der Soldat. «Geht wieder hinein, Meisterin Burka.»
Gereizt drehte sie sich zu ihm um. «Sagt Ihr mir nicht,was ich zu tun oder zu lassen habe. Dies sind mein Haus und mein Hof.»
«Aber Ihr steht unter Beobachtung.»
Sie funkelte ihn an. «Dann tut das. Beobachtet – und haltet den Mund.»
***
Völlig übermüdet saß Adelina am folgenden Morgen in ihrer Apotheke. Obwohl sie sie nicht öffnen durfte, empfand sie die vertrauten Regale voller Arzneibehälter und den scharfen, leicht metallischen Kräutergeruch als tröstlich. Wolfram Stache stand neben der Tür und schwieg. Ein weiterer Soldat mit Namen Cunrad bewachte die Mädchen und das Gesinde, die sich in der Küche aufhielten.
Es regnete wieder. Die bleigrauen, tief hängenden Wolken machten den Vormittag so finster, dass er vollkommen Adelinas Stimmung entsprach. Noch am Vorabend war Meister Jupp, der mit seiner Familie glücklicherweise nicht bewacht wurde, zum Rathaus gegangen und hatte nach Georg Reese gefragt. Dieser war aber offenbar auswärts unterwegs, und sonst wusste Adelina niemanden im Rat oder unter den Schöffen, den sie um Hilfe bitten konnte. Sie wollte zu Neklas in die Kunibertstorburg gehen, doch Meister Jupp hatte in Erfahrung gebracht, dass Besuche derzeit nicht gestattet waren.
Während sie darüber grübelte, wie es weitergehen sollte, klopfte es laut an der Haustür. Ehe sie aufstehen konnte, hatte Stache bereits geöffnet. «Herr Reese», begrüßte er den Gewaltrichter und machte einen Schritt zur Seite. «Tretet ein.»
Georg Reese schüttelte seinen nassen Mantel aus. Adelina eilte zu ihm und wollte ihm das Kleidungsstück abnehmen, um es an der Ecke eines der Regale aufzuhängen.«Herr Reese, ich bin so froh, dass Ihr da seid», begann sie, hielt jedoch inne, als er mit ernster Miene die Hand hob.
«Frau Adelina, es tut mir leid, aber ich bin hier, um Euch mitzuteilen, dass Ihr im Schöffensaal des Rathauses erwartet werdet. Draußen steht Hauptmann Greverode, um Euch dorthin zu begleiten.»
«Aber wozu?» Adelina blickte den Gewaltrichter beunruhigt an. «Was soll ich dort?»
«Ihr müsst Eure Aussage machen», erklärte Reese, und es war deutlich zu erkennen, dass ihm nicht wohl in seiner Haut war. «Um festzustellen, ob Ihr etwas mit der Toten zu tun habt oder ob Euer Gemahl allein zur Verantwortung gezogen werden muss.»
«Er hat nichts getan!», begehrte sie auf. «Warum nur denkt alle Welt, er habe die Frau umgebracht?» Sie starrte in Reeses verschlossenes Gesicht. «Glaubt Ihr das etwa auch?»
«Ich glaube gar nichts», erwiderte er. «Mir wurde die Befugnis entzogen, diesen Fall aufzuklären. Der Vogt ist zuständig und hat verfügt, dass mir alle richterlichen Rechte in dieser Sache genommen werden, weil ich in der Vergangenheit häufig Kontakt mit Eurer Familie gepflegt habe.»
«Das darf nicht wahr sein!» Verzagt schlug sie die Hände vors Gesicht.
Reese schwieg einen Moment, dann trat er näher und legte ihr unbeholfen eine Hand auf den Arm. «Ich kann Euch nicht helfen, Frau Adelina. Ich darf es nicht.»
***
«Neklas … Mein Gemahl … Magister Burka ist unschuldig», sagte Adelina zu
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