Frevel im Beinhaus
und legte eine Hand auf ihr pochendes Herz. «Hast du mich erschreckt! Was tust du denn hier?»
Griet machte ein betretenes Gesicht. «Ich dachte, ich könnte dir vielleicht beim Aufräumen helfen, aber …» Sie senkte die Stimme. «Was hast du denn da? War das Buch indem Wandversteck? Ist es eines von Vaters verbotenen Büchern?»
Entsetzt riss Adelina die Augen auf. «Griet, woher weißt du davon?»
Griet lächelte leicht. «Na ja, Mutter, ihr lebt ja nicht alleine hier im Haus. Man kriegt schon das eine oder andere mit.»
«Das eine oder andere?»
«Keine Angst, ich werde niemandem davon erzählen.»
Adelina verdrehte die Augen. «Das darfst du auch nicht, denn diese Bücher könnten deinen Vater in große Schwierigkeiten bringen.»
Griet kräuselte nachdenklich die Lippen. «In noch größere, als er sie jetzt schon hat?»
Adelina nickte. «Vermutlich. Falls das überhaupt noch möglich ist. Obwohl ich fast glaube, dass dieses Buch hier …» Sie nahm das dünne Bändchen wieder in die Hand. «Dieses hier», wiederholte sie, «scheint etwas anders geartet zu sein. Jedenfalls sieht es mir nicht wie ein alchemistisches Werk aus.»
«Warum nicht?», fragte Griet arglos. «Da ist doch ein Löwe vorne drauf. Vater hat mir erklärt, dass der Löwe ein Zeichen für den Stein der Transmutation ist.»
«Mag sein. Aber die Bilder, die dieses Buch enthält, beschreiben gewiss keine alchemistischen Experimente.»
«Darf ich mal sehen?»
Adelina drückte das Büchlein an sich. «Lieber nicht, Griet. Diese Bilder sind nicht für die Augen eines Kindes gedacht.»
«Warum nicht? Bitte zeig sie mir. Ich kann dir sagen, ob es ein alchemistisches Buch ist.»
«Du kannst mir das sagen?» Adelinas Augenbrauen wanderten in die Höhe. «Seit wann kannst du das denn beurteilen?»
Verlegen knabberte Griet auf ihrer Unterlippe herum. «Vater hat … na ja, er hat mir ein paar Dinge erklärt und mir auch einige seiner Bücher gezeigt.»
«So, hat er das?»
«Ja, und deshalb weiß ich, woran man den Geheimcode der Adepten erkennen kann. Na, zumindest ein bisschen.»
Adelina fasste sich stöhnend an den Kopf. «Das kann ja wohl nicht wahr sein», murmelte sie, gab ihrer Stieftochter dann jedoch zögernd das Buch in die Hände.
Griet schlug es auf und studierte interessiert sowohl den verschlüsselten Text als auch die Bilder und nickte dann nachdrücklich. «Das ist ganz bestimmt eines von den verbotenen Büchern», stellte sie im Brustton der Überzeugung fest. «Zumindest handelt es von der Transmutation.»
«Ah ja?»
«Ja, sieh her!» Griet deutete auf ein besonders farbenfrohes Bild. «Hier siehst du Sol und Luna, also Sonne und Mond …»
«Griet!» Adelina hob abwehrend die Hand. «Kind, das ist ein schmutziges Bild, nichts weiter. Ein Mann und eine Frau, beide mit einer Krone auf dem Kopf, sitzen gemeinsam – und nackt! – in einem Badezuber. Und dieses hier …» Sie wies auf die gegenüberliegende Seite. «Hier sind die beiden wieder zu sehen. Immer noch nackt und … Pfui, sie haben gemeinsam nur ein Paar Beine!»
«Aber Mutter!» Griet schüttelte den Kopf. «Das sind doch alles nur Allegorien. Gleichnisse über die Verwandlung von unedlen Metallen zu Gold. Schau, der Badezuber ist der Schmelztiegel, Sol und Luna die Elemente, die darin geschmolzen werden sollen. Dann verbinden sie sich, was hier als Zwitter dargestellt wird. Vater nennt es auch Hermaphrodit. Er sagt, das sei der griechische Begriff dafür. Und dann, wahrscheinlich auf der nächsten Seite …» Eifrig blätterteGriet um, und ein triumphierendes Leuchten glitt über ihr Gesicht. «Siehst du, hier ist Luna schwanger aus dieser Vereinigung.»
Adelina starrte das Mädchen mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen an. «Dein Vater hat dir also ein paar Dinge erklärt, ja?»
Griet ließ das Buch sinken. «Ja – hin und wieder.»
«Wie häufig war dieses hin und wieder?»
«Na ja, also, ähm …»
«Heilige Muttergottes, steh mir bei.» Adelina rieb sich müde die Augen. «Ich hatte gehofft, es würde eine Generation überspringen.»
«Was meinst du damit?», fragte Griet. «Hätte Vater mir diese Dinge nicht beibringen dürfen?»
Resignierend winkte Adelina ab. «Er hätte sich ja doch nicht davon abbringen lassen. Und du vermutlich auch nicht.» Sie atmete tief durch. «Du glaubst also, diese merkwürdigen Bilder haben etwas mit dem Stein der Weisen zu tun?»
«Ganz bestimmt», antwortete Griet. «Sieh her, Vater hat noch ein
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