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Frevel im Beinhaus

Frevel im Beinhaus

Titel: Frevel im Beinhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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Adelina einen Blick über ihre Schulter zurück, dann drückte sie versuchsweise gegen die Tür. Nichts geschah; wahrscheinlich war sie von der anderen Seite verschlossen.
    «Oder auch nicht», murmelte Adelina, als sie sich die Tür näher ansah. Es gab zwei Riegel, einer ganz oben und einer auf Fußknöchelhöhe, die sie mit etwas Gewalt zurückschieben konnte. Danach ließ sich die Tür mit einem lauten Quietschen aufdrücken. Dahinter befand sich lediglich ein weiterer Gang. Zögernd machte Adelina einige Schritte hinein und erschrak, als sie mit dem Fuß an einen Gegenstand stieß, der mit einem leisen Geräusch ins Rollen geriet. Als sie zu Boden blickte, stieß sie einen entsetzten Laut aus.
    «O lieber Gott.» Sie ging in die Hocke und betrachtete schaudernd den menschlichen Schädel, der sie aus leeren Augenhöhlen anzustarren schien. Rasch bekreuzigte sie sich und wollte sich zurückziehen, als ihr Blick an der Schädelplatte hängenblieb. Sie zögerte, doch dann berührte sie den Schädel leicht, damit er sich drehte, und konnte so die farbige Zeichnung erkennen, die jemand darauf angebracht hatte.
    Adelina wurde kalt. Vorsichtig nahm sie den Schädel in die Hand und starrte auf das Bildnis – offenbar handelte es sich um eine Art Haus- oder Familienzeichen. Der Kloß, der sich in ihrer Kehle bildete, ließ sich nicht hinunterschlucken und schnürte ihr fast die Luft ab. Wie kam dieser Totenkopf hierher? Stammte er aus dem Beinhaus an der Rheingasse? Reese hatte doch gesagt, dass die gestohlenen Knochen bemalt gewesen seien. Also musste es wohl so sein. Sie biss sich auf die Lippen; in ihrem Kopf begannen die Gedanken wild durcheinanderzuwirbeln. Wie kam derSchädel hierher? Wer hatte ihn hier in diesen Gang gelegt oder … hier verloren? Neklas?
    Sie schüttelte heftig den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. Er wusste nichts von diesem Geheimgang, und er hatte auch nichts mit dem Knochenraub zu tun. Ebenso wenig wie mit der toten Schustersfrau. Ihre Nerven spielten einfach verrückt, das musste es sein.
    Unentschlossen starrte sie auf den Schädel in ihrer Hand. Was sollte sie damit jetzt tun? Ihn Reese übergeben? Was würde das für Folgen haben? Unsicher machte sie ein paar Schritte vorwärts und erkannte, dass der Gang weiter hinten nach rechts abknickte. Langsam ging sie auf die Biegung zu und stieß erneut mit dem Fuß gegen etwas, das sich zu ihrem Schrecken als menschlicher Knochen herausstellte. Adelina klemmte sich den Schädel unter den Arm und nahm den Knochen in die Hand. War es ein Stück von einem Arm oder einem Bein? Sie kannte sich mit so etwas nicht aus, doch auch dieser Knochen wies Überreste einer Zeichnung auf, jedoch in anderen Farben als der Schädel.
    Die Kälte in ihren Gliedern breitete sich noch weiter aus und ließ sie mit einem Mal ganz kraftlos werden. Für ihren Fund konnte es nur eine Erklärung geben: Derjenige, der den Schädel und den Knochen hier liegengelassen hatte, musste der Dieb aus der Rheingasse sein. Und da er von diesem geheimen Gang wusste, konnte es sich doch nur um Neklas handeln. Niemand aus der Familie – sie selbst eingeschlossen – hatte eine Ahnung von der Falltür. Neklas hingegen entgingen solche Dinge gewöhnlich nicht, dazu war er zu gewitzt. Und dass er ihr die Falltür verschwiegen hatte, war noch ein weiterer Hinweis auf seine Schuld.
    Bei diesen Gedanken wurde Adelina von einem elenden Gefühl erfasst, das sich wie Eis um ihr Herz legte. Es konnte – durfte – einfach nicht sein, aber sie hielt die Beweise in ihren Händen. Kurz leuchtete sie um die Ecke desGanges, konnte dessen Ende jedoch nicht erkennen, deshalb machte sie entschlossen kehrt und eilte zurück in den kleinen Vorratsraum. Schädel und Knochen legte sie in eine der morschen Kisten, deren Deckel noch einigermaßen ganz war, dann stieg sie die steilen Stufen in ihren Keller hinauf und atmete tief durch. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren und sich auch nichts anmerken lassen. Da sie nicht wusste, wie lange sie sich in dem Geheimgang aufgehalten hatte, beeilte sie sich nun, die Falltür zu schließen und die Holzkiste wieder an ihren Platz zu bugsieren. Die Angst und Wut in ihrem Bauch schienen ihr dabei ungeahnte Kräfte zu verleihen, denn es dauerte nicht allzu lange, bis sie auch die Holzscheite wieder alle in dem Kasten aufgeschichtet hatte. Rasch griff sie nach dem Besen, den Neklas hinter der Tür aufbewahrte, und verteilte großzügig Staub und Aschereste aus dem

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