Frevel im Beinhaus
gleich zwei Splitter zu und verteilte Staub und Ruß auf ihrem Kleid. Als die Kiste endlich leer war, rüttelte sie prüfend daran. Noch immer schien sie viel zu schwer zu sein, um von einer einzelnen Person bewegt zu werden. Jedenfalls, wenn diese Person hochschwanger war. Suchend blickte Adelina sich um und holte sich schließlich einen eisernen Schürhaken herbei. Im Geiste entschuldigte sie sich bei Neklas dafür, dass sie das Gerät nun so schändlich missbrauchen würde, und schob die Spitze zwischen Boden und Kiste, um eine Hebelwirkung zu erzeugen. Es klappte: Sie konnte denKasten ein wenig anheben und ihm gleichzeitig einen heftigen Stoß geben, sodass er hinterher etwas schief stand. Rasch fegte Adelina mit dem Schuh weiteren Schmutz beiseite und erkannte, dass die Kiste tatsächlich auf etwas wie einer Einfassung gestanden hatte.
Mit Hilfe des Schürhakens und einiger Kraftanstrengung gelang es Adelina schließlich, die Kiste ganz von ihrem Platz fortzuschieben, der sich bei näherem Hinsehen als rechteckige Falltür entpuppte, an deren linker Seite ein schwerer Messinggriff eingelassen war.
Einige Augenblicke starrte Adelina wie betäubt auf ihren Fund. Sie hatte von der Existenz dieser Falltür keine Ahnung gehabt. Ihr Vater hatte niemals erwähnt, dass es sie gab. Vielleicht hatte er es selbst nicht gewusst. Das Haus war schon seit mehreren Generationen im Besitz ihrer Familie und das, was sich unter der geheimen Tür befand, wahrscheinlich einfach in Vergessenheit geraten.
Nachdenklich knabberte sie an ihrer Unterlippe. Konnte Neklas diese Falltür entgangen sein? War sie selbst vielleicht erst darauf aufmerksam geworden, weil sich der Standort der Kiste um eine Winzigkeit verändert hatte, nachdem er sie bewegt und danach wieder Staub und Ruß um sie herum verteilt hatte?
Adelina fragte sich, wie sie wohl auf solche Gedanken kommen mochte. Vielleicht, weil Neklas ihr auch nichts davon erzählt hatte, dass er Griet in einige seiner Geheimnisse eingeweiht hatte.
Ohne große Hoffnung auf Erfolg ging Adelina in die Knie und umfasste den Griff der Falltür. Sie war schwer, wie zu erwarten. Doch ein wenig bewegte sie sich. Adelina nahm also noch einmal den Schürhaken zu Hilfe und schaffte es damit, die Falltür anzuheben und hochzuklappen. Schwer atmend lehnte sie sie gegen eines der Regale und lauschte, ob oben jemand etwas von ihren Bemühungen gehört hatte.Es war jedoch alles still. Lange würde sie allerdings nicht mehr Zeit haben. Greverode würde sicherlich bald nach ihr sehen.
Rasch nahm sie den Kienspan aus der Halterung neben der Tür und leuchtete damit in das finstere Loch im Boden, aus dem modriger Geruch aufstieg. Die Flamme flackerte jedoch, also nahm Adelina an, dass dort unten irgendwo eine Luftzufuhr sein musste. Eine schmale und recht steile Steintreppe führte hinab. Entschlossen machte sich Adelina an den Abstieg und stand kurz darauf in einem kleinen, fast quadratischen Raum, von dem aus ein schmaler Gang fortführte. Naserümpfend nahm Adelina den intensiven Modergeruch wahr und blickte sich um. Offenbar hatten ihre Vorfahren hier Vorräte und Hausrat gelagert. Auf Eichenregalen, die sich über drei Wände hinzogen, standen Kisten, halb verrottete Körbe und sogar einiges an Zinngeschirr: Töpfe, Teller und Becher sowie mehrere Tonkrüge. Prüfend blickte Adelina in einen von ihnen hinein und verzog die Mundwinkel, als sie das Skelett einer Maus darin liegen sah. Die Kisten waren bis auf einige undefinierbare Reste leer, vermutlich hatten sich schon vor Jahrzehnten Mäuse und Ratten an den hier gelagerten Speisen gütlich getan. Klebriger Staub und Spinnweben überzogen alles wie ein dichter Film.
In einer Ecke des Raumes stand ein noch unversehrtes Weinfässchen; Adelina nahm jedoch an, dass dessen Inhalt inzwischen zu Essig verkommen war. Da in dem Raum weiter nichts Auffälliges zu sehen war, trat sie in den Gang, der offenbar unterhalb ihres Hinterhofes entlangführte. Die Wände links und rechts bestanden nicht, wie sie zuerst gedacht hatte, aus Erdreich, sondern waren aus behauenen Steinen gemauert und nur an wenigen Stellen feucht. Nach einigen Schritten endete der Gang in einer weiteren kleinen Kammer, die leer war, und von dort ging es wieder weiter,diesmal jedoch in Richtung des Nachbargrundstücks. Vor einer massiven Eichentür endete Adelinas Weg. Sie vermutete, dass sie sich nun etwas unterhalb von Meister Jupps Behandlungsräumen befinden musste. Kurz warf
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