Frevel im Beinhaus
Leider können wir deinen Mann nicht fragen, denn noch einmal werden sie dich gewiss nicht zu ihm lassen. Mir will scheinen, dass es da jemanden gibt, der sehr gewitzt darin ist, nicht nur Neklas als Sündenbock hinzustellen, sondern auch einen Keil zwischen euch zu treiben.»
«Aber wer soll das sein?»
Nachdenklich ging Ludmilla erneut zum Fenster. «Das solltest du versuchen herauszufinden. Wenn du … oha.» Sie machte einen Schritt rückwärts. «Du bekommst Besuch, Adelina. Das könnte interessant werden.»
«Wer ist es?» Adelina stand auf und trat ebenfalls ans Fenster.
Ludmilla lachte krächzend. «Thomasius, Gott steh uns bei. Und er ist nicht allein.»
***
Die Familie saß bei Thomasius’ Eintreffen bereits vollzählig am Küchentisch. Es bedurfte einiger Autorität seitens Adelinas, sie allesamt fortzuschicken, da sie mit dem Dominikaner und dessen Begleiter allein sein wollte. Jupp war zu dieser frühen Stunde noch nicht nebenan in seinen Behandlungsräumen, doch angesichts des weiteren Geistlichen, der gerade auf Adelinas Bitte hin auf der Bank Platz nahm, hätten sie den Brief sowieso nicht verwenden können.
Kein Geringerer nämlich als Vater Emilianus war es, der Thomasius zur Seite stand. Aus der Nähe betrachtet wirkte er noch hochfahrender als an jenem Tag, da sie ihn über den Alter Markt hatte reiten sehen. Sein weißes Habit und das schwarze Skapulier darüber wallten in reichen Falten und ließen ihn so imposant wirken, dass man glaubte, er würde gar nicht durch die Tür passen. Seine Augen glitzerten über feisten Hängebacken, und seine ungewöhnlich dunkle Haut, gepaart mit einem rollenden Akzent, machten ihn zu einer noch ungewöhnlicheren Erscheinung. An seiner Brust prangte ein mehr als handtellergroßes goldenes Kruzifix, welches er häufig berührte, wobei er stets ein stilles lateinisches Gebet auf den Lippen zu haben schien.Nach der förmlichen Begrüßung schwieg er nun und überließ das Reden Bruder Thomasius.
Dieser musterte Adelina neugierig und hob an: «Meine liebe Tochter im Herrn, wie mir zu Ohren gekommen ist, habt Ihr nach mir rufen lassen, um meinen geistlichen Beistand zu erbitten. In Anbetracht Eurer derzeitigen Situation gehe ich also davon aus, dass Ihr etwas zu beichten habt, das mit den betrüblichen Verfehlungen Eures Gemahls zu tun hat.» Er blickte bedeutungsvoll auf Greverode, der wie immer neben der Tür seinen Posten bezogen hatte und die beiden Geistlichen misstrauisch im Auge behielt. «Obwohl es in diesem Falle sicher besser gewesen wäre, gleich die Schöffen zu informieren, verstehe ich doch, dass Ihr durchaus nachvollziehbare Vorbehalte habt, da es sich ja um Euren Ehegatten handelt. Deshalb bin ich gerne bereit, Euch die Aufgabe abzunehmen und zu gegebener Zeit Eure Aussage dem Gericht vorzutragen.»
«Das kann ich mir denken», murmelte Adelina.
«Wie bitte?» Leicht aus dem Konzept gebracht, blickte Thomasius sie an, fuhr aber in salbungsvollem Ton fort: «Ich habe Euch immer vor Magister Neklas Burka gewarnt. Es schmerzt mich, dass Ihr so lange gebraucht habt, um einzusehen, dass ich recht daran tat, und Euch nun endlich von ihm lossagen wollt.»
«Mich schmerzt es wiederum, dass Ihr noch immer nicht begriffen habt, was für ein Mensch Neklas ist», sagte Adelina. Ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt, doch sie tat nichts, um die Wirkung abzumildern. Das Gespräch mit Ludmilla hatte ihr geholfen, sowohl ihre Gedanken als auch ihre Gefühle zu ordnen. Nun war sie erneut entschlossen, alles zu tun, um die Unschuld ihres Mannes zu beweisen. «Glaubt Ihr wirklich, ich würde zu den Schöffen gehen oder – noch schlimmer – so feige sein, Euch zu ihnen zu schicken, um gegen den Mann, dem ich vor Gott, dem Allmächtigen,meine lebenslange Liebe und Treue geschworen habe, auszusagen? Selbst wenn er schuldig wäre, würde das niemand von mir verlangen.»
«Wenn er schuldig wäre?», mischte sich Vater Emilianus ein. «Meine liebe Tochter im Herrn, ich fürchte, Ihr verkennt die Situation. Soweit ich informiert bin, geht es nicht mehr darum, ob Euer Gemahl die Taten, die ihm vorgeworfen werden, begangen hat, sondern ob er sie gesteht oder nicht, denn daran misst sich am Ende die Härte seiner Strafe.»
Adelina fuhr zu ihm herum und musterte ihn unfreundlich. «Eine Hinrichtung ist eine Hinrichtung, Vater Emilianus. Ich kann nicht erkennen, inwiefern da von einer Milderung der Strafe zu sprechen ist. Außerdem ist es keineswegs gewiss,
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