Frevel im Beinhaus
Keller. Wir hatten beschlossen, Thomasius herzuholen, um ihn zu fragen, warum er uns plötzlich wieder mit seinen Anschuldigungen verfolgt. Als Druckmittel wollten wir einen Brief verwenden, den dein Bruder einst dazu benutzt hat, eine Taufe zu verhindern. Du weißt wahrscheinlich, dass Jupps Töchter …»
«… Halbjüdinnen sind. Ja, er hat es mir erzählt. Woher hat dein Mann diesen Brief?»
«Ich weiß es nicht», gab Adelina zu. «Aber du kennst ihn doch. Er hat immer seine Mittel und Quellen.»
Ludmilla grinste, sagte jedoch nichts dazu, sondern stellte fest: «Du gingst also in den Keller, um den Brief zu holen, der dort vermutlich irgendwo versteckt war. Und dann fandest du noch etwas?»
«Ja, nein.» Adelina rieb sich übers Gesicht. «Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich entdeckte unter dem Holzkasten, in dem wir das Brennholz für den philosophischen Ofen aufbewahren, eine Falltür. Ich wusste nicht, dass sie dort war. Mein Vater hat sie nie erwähnt.»
«Ah, daher vermutlich deine Überanstrengung, wie? Wohin führt diese Falltür?»
«In einen alten Vorratsraum, von dem aus ein Gang fortführt. Ich glaube, da unten sind die Kellerruinen alter römischer Häuser.»
«Also hast du dort etwas gefunden.»
«Einen Totenschädel», bestätigte Adelina. «Und einen Knochen. Beide waren angemalt, ganz so, wie Reese es von den gestohlenen Gebeinen berichtet hat.» Ihre Stimmewankte. «Ludmilla, ich wollte es zuerst nicht wahrhaben, aber ich fürchte, Neklas hat etwas mit dem Diebstahl zu tun. Wie sonst sollten die Knochen dort hinuntergekommen sein? Und wenn er den Knochendiebstahl begangen hat, dann ist er vielleicht auch schuld am Tod der Schustersfrau.»
«Na, na, mal langsam. Das sind immerhin zwei paar Schuh», wiegelte Ludmilla ab. «Das eine muss mit dem anderen nichts zu tun haben.»
«Aber man fand den toten Säugling zusammen mit Knochen aus dem Beinhaus. Es muss da einen Zusammenhang geben.»
«Also gut, selbst wenn es so wäre …» Die alte Hebamme stand auf und ging bis zum Fenster, blickte kurz hinaus und drehte sich anschließend wieder zu Adelina um. «Glaubst du wirklich, dein Mann hat diesen Mord begangen?»
Adelina ließ die Schultern hängen. «Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Alle Beweise sprechen gegen ihn. Aber ich kann nicht zu Reese gehen und ihm die Knochen aushändigen. Das würde Neklas’ Tod bedeuten.»
«Das ist mal sicher.» Langsam kam Ludmilla näher, fasste Adelina an den Schultern und brachte sie dazu, sie anzusehen. «Jetzt denk einmal nach. Bist du wirklich überzeugt, dass Neklas die Knochen gestohlen und diese Frau ermordet hat?»
«Ich …»
«Denk nach, sagte ich. Ihr seid jetzt wie lange verheiratet? Vier Jahre? Kannst du dir vorstellen, dass er so etwas tun würde, aus welchem Grund auch immer?»
Zitternd atmete Adelina aus. «Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber …»
«Kein Aber jetzt. Du kannst es dir nicht vorstellen. Warum nicht?»
«Weil … Er ist ein … guter Mann», kam es etwas lahm.Dann richtete Adelina sich auf. «Er hat mir alles – na ja, fast alles, schätze ich – über seine Vergangenheit erzählt. Außerdem hat er mich nie belogen. Ich weiß, er hat seine kleinen Geheimnisse, aber er war nie unehrlich zu mir. Als Arzt versucht er wirklich, den Menschen zu helfen. Das hat ihn ja damals in Italien auch ins Gefängnis gebracht. Zumindest galt es dem Bischof als Vorwand. Neklas hatte Tote seziert, um herauszufinden, woran sie gestorben waren.»
«Aber er hat sie dazu nicht selbst umgebracht.»
«Nein!» Empört starrte Adelina zu Ludmilla auf. «Das wäre ja wohl verrückt gewesen. Die Menschen sind alle an irgendwelchen Krankheiten verstorben, und er wollte herausfinden, woran.»
«Also durchaus nachvollziehbar, jedoch in den Augen mancher Geistlicher ein schändliches Vergehen», fasste Ludmilla zusammen. «Aber er hat dir niemals einen Grund gegeben, an ihm zu zweifeln.»
«Nein, das hat er nicht.»
«Warum tust du es dann jetzt, Mädchen?»
«Ach, ich weiß nicht. Die Beweise …»
«Er ist immerhin der Vater deiner Kinder. Des kleinen Colins ebenso wie des noch Ungeborenen.»
Adelina verzog die Lippen. «Ich will ja gar nicht glauben, dass er schuldig ist, Ludmilla. Wenn ich nur einen Anhaltspunkt hätte … Aber wie sind die Knochen in das geheime Kellergewölbe gelangt, wenn er sie nicht dort versteckt hat?»
Ludmilla kräuselte die Lippen.
«Eine gute Frage, der wir auf den Grund gehen sollten.
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