Frevel im Beinhaus
sich Ludmilla an die Lippen. «So viel Feingefühl traut man ihm gar nicht zu.»
«Nein, ganz gewiss nicht. Ich wünschte, er wäre nicht hier.»
Ludmilla kniff ein wenig die Augen zusammen und musterte Adelina aufmerksam. «Ihr konntet einander nie leiden. Ein Grund mehr, sich zu wundern, warum er sich hier eingenistet hat.»
Adelina schnaubte. «Er behauptet, dass ich eine Plage sei. Ich denke dasselbe von ihm. Mag sein, dass Reese recht hat und Greverode ein rechtschaffener Mann ist, aber mir gegenüber verhält er sich die meiste Zeit unmöglich. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht aneinandergeraten.»
Kichernd stand Ludmilla auf und kam ans Bett. Auf dem Rand ließ sie sich nieder, schlug die Decke zurück und tastete mit kundigen Händen Adelinas Bauch ab. «Das kannich mir lebhaft vorstellen. An Sturheit könnt ihr es beide allemal miteinander aufnehmen.»
«Ich glaube, er hasst mich. Und doch habe ich das Gefühl …»
«Was für ein Gefühl?» Ludmilla deckte sie wieder zu.
«Dass da noch etwas anderes ist.» Adelina setzte sich auf und griff nach ihrem Kleid, welches sie am Vorabend über das Fußende des Bettes gelegt hatte. «Er verschweigt mir etwas.»
In diesem Moment klopfte es leise an der Tür. Mira streckte den Kopf herein. «Meisterin, geht es Euch wieder besser? Soll ich Euch gleich das Frühstück heraufbringen lassen?»
Adelina schüttelte den Kopf. «Danke, Mira. Ich komme nach unten.»
Nachdem das Mädchen wieder gegangen war, zog sich Adelina mit Ludmillas Hilfe vollständig an und steckte ihre Haare ordentlich hoch. Sie befestigte eine schlichte Haube auf ihrem Kopf. Als sie schon nach unten gehen wollte, hielt die alte Hebamme sie am Arm zurück. «Ich habe munkeln gehört, dass gegen Neklas schwerwiegende Beweise gefunden wurden», raunte sie. «Stimmt das?»
Adelina, die die Tür bereits geöffnet hatte, schloss sie vorsichtshalber wieder und nickte dann. «Das ist richtig. In einem Gewölbe bei der Ulrepforte, wo Neklas seinen städtischen Wachdienst geleistet hat, fand man die Leiche des Säuglings, der der Schustersfrau aus dem Leib geschnitten wurde.» Sie atmete tief durch. «Und außerdem Knochen aus dem Beinhaus in der Rheingasse.»
«Ei, ei, sieh an.» Ludmilla legte den Kopf auf die Seite. «Da hat wohl jemand ganze Arbeit geleistet.»
«Wie meinst du das?» Misstrauisch hob Adelina die Brauen.
Ludmilla tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.«Na, glaubst du vielleicht nicht, dass da jemand deinen Gemahl zum Sündenbock machen will?» Als Adelina nicht gleich antwortete, ihre Miene sich jedoch schlagartig verfinsterte, merkte Ludmilla auf. «Warte mal … Du zweifelst? Das ist interessant.»
«Interessant?»
«O ja.» Die Alte lächelte vielsagend. «Ich dachte, das zwischen euch beiden sei wahre Liebe. Selten zwar, aber durchaus anerkennenswert. Und nun diese Unsicherheit in deinen Augen.» Sie senkte ihre Stimme. «Weißt du vielleicht etwas, das du den anderen verschweigst?»
Zu rasch schüttelte Adelina den Kopf. Sie presste die Lippen zusammen. Plötzlich platzte es aus ihr heraus: «Ludmilla, es ist etwas Schreckliches geschehen», flüsterte sie und spürte gleichzeitig, wie sich das Gefühl der Verzweiflung heftiger noch als am Vortag in ihr rührte.
Ludmilla nahm sie am Arm und führte sie zum Bett zurück. Nebeneinander ließen sie sich darauf nieder. «Etwas Schreckliches ist also geschehen», wiederholte die Alte Adelinas Worte. «Zumindest hältst du es für so schlimm, dass du anscheinend sogar an deinem Gemahl zweifelst, denn nichts anderes sagt mir dein Gesichtsausdruck. Nun …» Sie tätschelte Adelinas Rücken. «Erzähle mir davon, damit ich darüber nachdenken kann, ob dein Misstrauen gerechtfertigt ist oder nicht.»
Adelina nickte wieder und senkte den Blick auf ihre Hände, die sie unbewusst ineinander verkrampft hatte. «Es war gestern», begann sie und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen. «Ich war bei Neklas im Gefängnis.»
«Ach?»
«Reese hat es irgendwie eingerichtet. Vermutlich hat er sämtliche Wächter bestochen.»
«Dir nicht unähnlich.»
Adelinas Kopf ruckte hoch. «Woher weißt du …?»
Ludmilla gab ihr mit einer kurzen Handbewegung zu verstehen, sie solle weitererzählen.
«Reese glaubte, Neklas würde ihm etwas verschweigen, und hoffte, ich würde es aus ihm herausbringen.»
«Und hat er etwas verschwiegen?»
«Er sagt nein, aber dann …» Adelina schluckte laut. «Am Nachmittag war ich unten im
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