Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frevel im Beinhaus

Frevel im Beinhaus

Titel: Frevel im Beinhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
Vom Netzwerk:
los?», wollte Reese von einem vorbeieilenden Gesellen in der Tracht der Zimmerleute wissen.
    Der Mann blieb stehen und gestikulierte wild. «Da vorne spricht ein Pfaffe, der angeblich zum Domkapitel gehört. Die Leute behaupten, er sei ein großer Prediger, der vom Jüngsten Gericht zu berichten weiß. Ich muss los, einen besseren Platz suchen. Hier hinten kriegt man nichts mit.»
    Reese und Adelina sahen einander zweifelnd an.
    «Ein Prediger, der solche Menschenmassen anzieht?» Reese stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können, gab es jedoch schnell wieder auf.
    «Das kann nur Bruder Thomasius sein», vermutete Adelina. «Aber der ist kein Kanoniker.» Sie setzte sich wieder in Bewegung und drängte sich an einigen Scholaren der Universitätvorbei, die aufgeregt auf Latein miteinander disputierten. Einige Worte, die sie gebrauchten, ließen sie aufhorchen.
    «So wartet doch», rief Reese und schloss eilig zu ihr auf. «Wollt Ihr Euch das etwa anhören?»
    «Unbedingt», antwortete sie und benutzte ihre Ellenbogen, um sich weiter durch die Menge zu drängen. Sie schaffte es bis auf Sichtweite des Domportals und blieb erneut stehen, da sie nun erkannte, um wen es sich bei dem Prediger handelte. Sie hatte es bereits vermutet. «Vater Emilianus», sagte sie zu Reese, als dieser es geschafft hatte, sich neben sie zu quetschen. Inmitten der vielen Menschen begann sie sich schnell unwohl zu fühlen. Der Himmel war den ganzen Tag über schon bedeckt gewesen, aber die schwüle Sommerluft hing wie eine Glocke über der Stadt. Kein Lüftchen regte sich. Schweiß-, Knoblauch- und Biergeruch mischten sich mit dem üblichen und allgegenwärtigen Gestank der Rinnsteine und ließen Adelina schwer atmen. Schweiß trat ihr aus allen Poren, dennoch harrte sie aus und bemühte sich nach Kräften zu verstehen, was der Geistliche zu verkünden hatte. Viel war nicht zu verstehen. Lediglich Wortfetzen drangen an ihr Ohr, die von Gottlosigkeit, Verdammnis und betrügerischer Auflehnung gegen die göttliche Ordnung handelten.
    «Er predigt gegen die Pläne des Erzbischofs», sagte Reese, der offenbar mehr verstand als sie. «Ziemlich mutig; er verlangt, dass die Bürger der Stadt sich gegen ihren geistlichen Führer wenden und dem derzeitigen König die Treue halten sollen. Wenn ihm das mal nicht einen Rüffel seines kurfürstlichen Freundes einträgt.»
    Adelina schüttelte den Kopf. «Greverode sagt, Vater Emilianus habe schon früher gegen Erzbischof Friedrich gewettert und sei nie dafür bestraft worden.» Sie schwankte leicht, weil von hinten immer mehr Menschen nachdrängten.
    Reese griff nach ihrem Ellenbogen. «Kommt, wir gehen. Das ist nichts für Euch. Ihr seid ganz weiß im Gesicht, Frau Adelina.»
    «Nein, schon gut.» Sie winkte ab. «Könnt Ihr erkennen, ob Thomasius auch dabei ist?»
    «Nein.» Reese reckte sich erneut, um über die Köpfe der vor ihnen Stehenden zu blicken. «Ich kann ihn nirgends sehen.»
    Als Adelina in diesem Moment einen heftigen Stoß von hinten bekam, der sie zu Fall gebracht hätte, wenn nicht ringsum so viele Schaulustige gestanden hätten, fasste er sie fester am Arm und schob sie weiter. «Ich bringe Euch jetzt nach Hause», bestimmte er und fügte nach einem Blick zum Himmel hinzu: «Ich fürchte, es fängt gleich an zu regnen.»
    Wie zum Beweis seiner Worte wurde Adelina im nächsten Moment von einem dicken Regentropfen an der Stirn getroffen. Weitere folgten, was einige der Umstehenden veranlasste, ebenfalls den Rückzug anzutreten. Ein heftiges Gedränge begann, während der Regen immer stärker wurde. Leises Donnergrollen setzte ein.
    Reese und Adelina schoben sich an den Rand des Platzes und strebten dem Dominikanerkonvent zu. «Wir müssen einen Umweg machen», erklärte er ihr. «Auf direktem Weg kommen wir jetzt nicht zum Alter Markt. Verflucht, wo sind die Stadtsoldaten, wenn man sie braucht?»
    «In Bonn», antwortete Adelina und warf einen Blick über die Schulter zurück. Kurz meinte sie, eine weiße Kutte in dem Gedränge wahrzunehmen, sie konnte sich aber auch geirrt haben.
    Reese stieß einen gereizten Laut aus. «Greverode hätte wohl gewusst, wie man gegen solche Hetzredner vorgehen muss.»
    «Vermutlich», stimmte Adelina zu. Ihr stand noch sehrgenau vor Augen, mit welch drakonischen Maßnahmen ihr Bruder selbst unter seinen eigenen Leuten aufzuräumen gewillt war, wenn diese sich nicht an seine Anordnungen hielten. Sie schauderte ein wenig, konnte sich jedoch

Weitere Kostenlose Bücher