Frevel im Beinhaus
Säuglinge verwendet wird.»
«Wie abscheulich!», rief Adelina entsetzt.
Neklas nickte. «Ich hatte gleich ein ungutes Gefühl, als ich erfuhr, dass man der Frau das Kind aus dem Leib geschnitten hatte. Thomasius sprach ja auch von meiner angeblichen Suche nach dem Panacea. Schon da erwähnte er die unheiligen Künste, derer ich mich bedient habe, nicht wahr?»
«Davon habt Ihr in den Befragungen aber nichts gesagt!», warf Reese verärgert ein.
Neklas zuckte mit den Achseln. «Hätte ich mich der Gefahr aussetzen sollen, dass der Vogt dies als eine Selbstanklage oder ein Geständnis gewertet hätte? Diese Gefahr besteht nach wie vor.»
Verärgert kräuselte Reese die Lippen. «Ihr traut mir nicht?»
Neklas lächelte kalt. «Ich traue derzeit niemandem außer mir selbst und meiner Familie.» Er warf Adelina einen kurzen Blick zu. «Jedenfalls passen so unter Umständen auch die gestohlenen Knochen aus dem Beinhaus ins Bild», fuhrer fort. «Aber was hat Thomasius nun tatsächlich mit der ganzen Angelegenheit zu tun?»
«Das haben wir uns auch gefragt», sagte Adelina. «Wir können uns jedoch keinen Reim darauf machen. Erst tritt er als dein Ankläger auf, dann kommt er mit Vater Emilianus zu mir, um mir zu drohen, und plötzlich gibt er mir versteckte Hinweise.» Sie hielt inne. «Kann es sein, dass er uns auf eine falsche Fährte führen will?»
Neklas rieb sich übers Kinn. «Möglich ist es. Damit würde er sich aber verdammt weit aus dem Fenster lehnen. Ich hielte es für sinnvoll, wenn Jupp noch einmal zu ihm geht und ihn zum Reden bringt.»
Adelina nickte. «Das hat Jupp auch gesagt und sich vorhin auf die Suche gemacht.»
«Habt Ihr möglicherweise eine Ahnung, wer hinter solchen Teufelsbeschwörungen stecken könnte?», wollte Reese wissen. «Solche Sekten tauchen doch nicht aus dem Nichts auf – und ohne Grund schon gar nicht. Wer in aller Welt könnte also höllische Mächte dazu benutzen wollen, um Gold herzustellen?»
Neklas setzte sich auf seiner Matratze bequemer zurecht und antwortete daraufhin lakonisch: «Vermutlich jemand, der in Geldnöten ist. In massiven Geldnöten.»
«Und wer könnte das sein?», fragte Adelina zweifelnd. «Er müsste aus höchsten Kreisen kommen, oder nicht? Immerhin muss er so gebildet sein, dass er über solche Rituale Bescheid weiß. Dieses Wissen ist nicht jedem Menschen zugänglich.»
«Nicht jedem, da hast du recht», stimmte Neklas zu. «Aber so geheim sind sie nun auch wieder nicht. Die meisten Theologen kommen während ihres Studiums damit in Berührung. Auch Alchemisten, Ärzte, manche Apotheker und Gelehrte anderer Fachrichtungen an der Universität kommen in Frage. Und nicht zuletzt gibt es einflussreicheLeute – Patrizier und Adlige zum Beispiel –, die sich mit entsprechend gelehrten Männern umgeben können.»
«Das grenzt unseren Kreis der Verdächtigen nicht gerade ein», beschwerte Reese sich ungehalten. «So kommen wir nicht weiter.»
«Ihr rührt ja auch schon seit Tagen in der immer gleichen Pampe herum», kam es unerwartet von Endres. Seine nächsten Worte zeigten, dass er mehr Einzelheiten mitbekommen hatte, als sie vermutet hätten: «Wenn Ihr mich fragt, solltet Ihr nicht dauernd überlegen, wer hinter alldem steckt. Ich würde mir vielmehr überlegen, wer Euch das faule Ei, also die Leiche, ins Nest gelegt hat.» Als aller Augen auf ihn gerichtet waren, erhob er sich und grinste. «Das war nämlich ganz bestimmt nicht Euer Teufelsanbeter persönlich. Wenigstens nicht, wenn er wirklich zu den höchsten Kreisen gehört. Solche Männer haben immer ihre Handlanger. Nach denen solltet Ihr suchen.»
22
Es war bereits später Nachmittag, als Reese und Adelina sich wieder auf den Rückweg machten. Endres’ Ausführungen über jene Männer, die sich zumeist in der Kölner Unterwelt herumtrieben und für Geld alles taten, hatten Adelina nicht zuletzt wegen der Gewölbe unter ihrem Haus Angst gemacht. Sie hatten Neklas’ abgerissenem Zellengenossen jedoch recht geben müssen und daher beschlossen, sich nun noch mehr darauf zu konzentrieren, den Mord an der Schustersfrau aufzuklären. Auf ihrem Weg durch die Stadt gerieten sie bei der Dombaustelle in eine große Menschenmenge. Überrascht blieben sie stehen, denn rund um den Domhof war kein Durchkommen mehr. Handwerker, Hausfrauen, Mägde und Tagelöhner mischten sich mit Gassenkindern und Bauern zu einer bunt wogenden Masse, die offenbar auf die Kathedrale zustrebte.
«Was ist dort
Weitere Kostenlose Bücher