Frevel im Beinhaus
hüpfte neben ihm herum und kläffte wie verrückt. Da offenbar niemand ein Wort herausbrachte, trat Adelina neben ihren Bruder und schob ihn sanft beiseite. «Was geht hier vor?», fragte sie, stieß jedoch selbst einen entsetzten Schrei aus, als sie sah, was da auf der Türschwelle lag. Sie schluckte mehrmals heftig, um den Brechreiz niederzukämpfen. «Heilige Muttergottes, steh uns bei», presste sie heraus und versuchte dann, ihren Bruder hochzuziehen. Er wehrte sich jedoch mit einem Protestschrei.
Reese, der sich inzwischen neben sie gedrängt hatte, schnappte entsetzt nach Luft. «Was ist das?»
Adelina riss sich von dem grausigen Anblick am Boden los und versuchte sich zu beruhigen. «Eine tote Katze», sagte sie mit zittriger Stimme.
23
Adelina wandte sich an Mira, die ihr am nächsten stand. «Wie kommt das Tier hierher?»
Zögernd trat Mira einen Schritt vor. Sie war ganz bleich im Gesicht. «Ich weiß nicht genau. Vitus hat nach Fine gesucht, und Herr Stache hat geschimpft, weil er nicht gleichzeitig in der Apotheke Wache schieben und uns in den Garten begleiten konnte. Da ist Vitus allein raus und kam vorhin schreiend wieder.» Sie schluckte. «Er hat die Katze irgendwo im Hof oder im Garten gefunden.»
«Fine», jammerte Vitus schrill. «Wer hat Fine totgemacht?»
Adelina gab Ludowig ein Zeichen. «Bring ihn hinaus.»
Ludowig, der ebenso blass war wie die Mädchen, nickte und versuchte nun seinerseits, Adelinas Bruder dazu zu bewegen, mit ihm hinauszugehen. Doch Vitus war ein kräftiger junger Mann und durchaus in der Lage, den hünenhaften Knecht abzuwehren. Adelina trat neben ihn, bevor er um sich zu schlagen begann. «Komm, Vitus, wir müssen die Katze begraben …»
«Wer hat meine Fine totgemacht?», schrie er erneut.
Adelina zwang sich zur Ruhe. «Ich weiß nicht, wer …» Ihr Blick heftete sich auf den Kadaver. Man hatte der Katze den Kopf und den Schwanz abgeschnitten. Sie schauderte, doch dann stutzte sie. Vorsichtig ging sie in die Knie und betrachtete das Tier näher. «Vitus», sagte sie. «Das ist nicht Fine.»
«Doch, das ist sie», schrie Vitus aufgebracht. «Jemand hat sie totgemacht!»
Adelina zwang sich, die Katze noch einmal genau zu betrachten, dann stand sie umständlich wieder auf. Reesestützte sie zuvorkommend. «Vitus, beruhige dich bitte», sagte sie und fasste nach der Hand ihres Bruders. «Schau genau hin: Das kann gar nicht Fine sein. Sie hat doch nur ein weißes Pfötchen. Diese Katze hier hat zwei.»
Vitus schniefte, wischte sich mit dem Ärmel über die Nase und sein verquollenes Gesicht. Er beugte sich erneut über die Katze, dann nickte er. «Stimmt, Lina. Meine Fine hat nur ein weißes Pfötchen.» Als hätte es die ganze Aufregung nicht gegeben, ging er zur Tür. «Ich guck mal, wo sie ist», verkündete er und verschwand im Hof. Franziska, die sich weit nach hinten zurückgezogen hatte, da sie Colin auf dem Arm trug, hüstelte. «Ich geh mal hinterher.»
Adelina wandte sich zu den anderen um, die betreten herumstanden. «Warum habt ihr das nicht gleich gesehen?», fragte sie Griet. «Ihr kennt doch Fine. Vitus hätte sich nicht derart aufzuregen brauchen. Jetzt wird er wieder tagelang schlecht schlafen.» Sie blickte verärgert zu Stache. «Und Ihr? Warum habt Ihr nicht für Ordnung gesorgt?»
Der Soldat riss entsetzt die Augen auf. «Ich bin hier, um aufzupassen, nicht um Euren Haushalt zu beschicken.»
Strafend blickte sie ihn an. «Aufpassen, jawohl. Wie kommt diese tote Katze in unseren Hof?»
Stache zuckte mit den Schultern. «Ich kann ja nicht überall zugleich sein. Und jetzt, wo der Hauptmann nicht da ist …»
«Ja, ja.» Adelina winkte genervt ab. «Wenn der Hauptmann nicht da ist, geht immer alles drunter und drüber. Dann nehmt wenigstens jetzt wieder Euren Posten ein. Ludowig, tu mir einen Gefallen und schaff die tote Katze von hier fort. Magda, bitte mach mir etwas Milch mit Honig warm.»
Magda nickte und eilte in die Küche, Ludowig trat an die Tür und fasste den Kadaver vorsichtig am Fell, um ihn wegzutragen, und Stache zog sich bereitwillig in die Apotheke zurück.
«Kommt, setzt Euch, Herr Reese», murmelte Adelina und deutete auf die Ofenbank.
Er folgte ihrer Aufforderung mit besorgter Miene. «Mir scheint, Ihr habt bereits jemanden aufgescheucht», stellte er fest. «Offenbar war Eure Finte mit dem Messer gar nicht mehr nötig.»
Adelina nickte matt. «Es sieht so aus. Obwohl mir nicht einleuchten will, wer in aller Welt
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